Die Zukunft der Nachhaltigkeit. Literatur, Zeit und Umwelt

Das Konzept der Nachhaltigkeit fordert sowohl unser affektives als auch unser zeitliches Bewusstsein heraus. Es zwingt uns, in eine Zukunft zu blicken, die jenseits unserer eigenen Endlichkeit liegt. Aber wie können Menschen sich so eine Welt überhaupt vorstellen? Literarische Texte bieten die Möglichkeit, mit Formen der kontinuierlichen Stabilität zu experimentieren und so Zukunftsperspektiven zu erproben, die den Anforderungen der Nachhaltigkeit gerecht werden. Texte eignen sich für solche Experimente besonders gut, da sie – wie auch die Menschen selbst – unweigerlich dazu bestimmt sind, zu einem Ende zu kommen. Wie sehen also Texte aus, die die Begrenzungen der Endlichkeit zugunsten einer kontinuierlichen Stabilität umgehen? Solche ›nachhaltigen Texte‹ nutzen unterschiedliche ästhetische Strategien, von der Aufzählung über die Fragmentierung bis hin zur Serialisierung. Die literarische Form spiegelt die zeitlichen Herausforderungen der Nachhaltigkeit wider, indem sie diese zugleich ausführt und darstellt.

Im Projekt wurde die Geschichte und Funktion der Nachhaltigkeit in der deutschen Literatur vom frühen 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert untersucht. Eine sprachgeschichtliche Betrachtung des deutschen Begriffs Nachhaltigkeit, dessen Verwendung bis ins Jahr 1713 zurückreicht, zeigt, dass er bereits Anfang des 19. Jahrhunderts zahlreiche Diskurse beeinflusst. Leitend war die These, dass die semantische Verbreitung des Konzepts der Nachhaltigkeit auf seiner Fähigkeit beruht, die psychologischen Herausforderungen zu bewältigen, die mit den im Laufe der untersuchten 300-jährigen Zeitspanne aufkommenden radikal neuen Zukunftsperspektiven verbunden sind.

Durch die Betonung der zeitlichen Dimension unterscheidet sich die Studie von früheren Ansätzen, Literaturwissenschaft und Ökologie in einen Dialog zu bringen. Eine eingehende Analyse ästhetischer Darstellungsformen von Nachhaltigkeit zeigt, dass diese statische und dynamische Eigenschaften kombinieren, indem sie deskriptive (zeitlose) mit narrativen (zeitlichen) Darstellungsformen verweben. Somit ermöglicht es das Konzept der Nachhaltigkeit den Menschen, ein Gefühl jener Stabilität zu bewahren, die der ursprünglichen Definition von Nachhaltigkeit inhärent ist, selbst wenn sie auf die Herausforderungen reagieren, die mit offeneren Zukunftsvorstellungen einhergehen.

Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung 2016–2017
Leitung: Markus Wilczek