Ausschnitt der unteren Hälfte eines Gemäldes, in dem ein Leinentuch mit dem blassen Abdruck eines menschlichen Munds zu sehen ist.

Ikonische Präsenz. Die Evidenz von Bildern in den Religionen

Das Projekt untersuchte die ikonische Präsenz in den Religionen als eine Frage menschlicher Bildpraxis, wie sie in Hans Beltings Bild-Anthropologie (2001) ausgearbeitet wurde. Das Projekt ging von der Hypothese aus, dass die ikonische Produktion in den verschiedenen Religionen zwar auf unterschiedliche Weise erfolgt, aber dennoch ähnlichen Mustern unterliegt, die erst im Vergleich an den Tag treten. Vor diesem Hintergrund wurden die Bildgeschichte(n) der Religionen und die Kunstgeschichte der Neuzeit gleichberechtigt aufeinander bezogen. Durch den multidisziplinären Forschungsansatz gelang es dem Projekt, europäische Praktiken und Erfahrungen in eine Anthropologie menschlicher Bildpraxis zu integrieren und hierfür den Dialog der Bildwissenschaften mit den Religions-, Literatur- und Kulturwissenschaften und der Ethnologie zu intensivieren. Untersuchungsgegenstände des Projekts waren dabei Dramentexte und Aufführungspraxis des frühneuzeitlichen Sakramentsspiels im Kontext von Bilderkult und Prozessionstheater der spanischen Gegenreformation, Kunstwerke der Renaissance und kunsttheoretische Kommentare zu ihrer Wirkmacht und visuellen Effizienz am Beispiel Venedigs und serielle Darstellungen von Theophanien auf Portalbildern mittelalterlicher Pilgerkirchen in Frankreich.
Hans Belting: Iconic Presence. The Evidence of Images in Religion (ausführliche Projektbeschreibung)

Beteiligte Institutionen und ihre Forschungsprojekte:

1. Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin
Projektleitung: Sigrid Weigel
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Johanna Abel
Kooperation: Martin Treml

Ikonische und Realpräsenz. Mediation in den Religionen

Der Themenschwerpunkt Mediation am ZfL betonte die komplementäre Verquickungsgeschichte der west- und ostkirchlichen Bildpräsenz mit der eucharistischen Realpräsenz und trug im Rahmen des Gesamtprojekts zur Schärfung des Präsenzbegriffes bei.

Ikonische Präsenz wurde dabei als Präsenz im Bild und als Bild definiert. Bereits die faktische Präsenz eines Bildes (seine Medialität) verweist auf die symbolische Präsenz, die an ihm gesucht wird. Im Kult erwirbt die Bildperson jene spezifische Form von Anwesenheit, die Körper besitzen. Mit ihr besetzt das Bild die Erfahrung von zeitlicher oder konstitutiver Abwesenheit. Diese wird in der ikonischen Präsenz sogar markiert, indem das Bild Abwesenheit, ohne sie zu leugnen, in eine andere Art von Anwesenheit verwandelt. Die Präsenz von Bildern verwandelt sich in den Religionen episodisch in Präsenz im Sinne einer inszenierten Erscheinung, bei der das Bild quasi Handlung ergreift.

Allgemein gesprochen, erfüllen Bilder in den Religionen das Verlangen nach Präsenz dessen, der im Bild herbeigerufen wird. Im christlichen Fall des ›leeren Grabes‹ liegt ein besonderes Bildbegehren vor, das auf den abwesenden Christuskörper mit einer gesteigerten Bildproduktion antwortet. Präsenz wird dabei im ›Hier‹ und ›Jetzt‹ des Bildes sinnlich erfahren. Die Rituale richten sich auf Bilder, die als Adressaten einer Kulthandlung auftreten. Diese Kulthandlung wird in den Religionswissenschaften als Mediation beschrieben (B. Meyer 2014). Der Mediationsbegriff, im Kontext von Studien zu religiöser Materialität geprägt, wurde im Projekt fruchtbar mit den Erkenntnissen der Ritual- und Performativitätsforschung verknüpft, um Bildhandlungen und deren Transferleistungen in ihrer Kontinuität zu veranschaulichen.

Teilprojekt Johanna Abel:
Leibpräsenz im Corpus Christi-Spiel: der hispanische Auto Sacramental im Spiegel einer bildanthropologischen Kulturwissenschaft

Im Fokus dieses Teilprojekts stand die Ikonologie der Fronleichnamsspiele des spanischen Barock (1600–1700). In den autos sacramentales wurde das Sakrament der Eucharistie in einem multimedialen Spektakel zur öffentlichen Anschauung gebracht. In ihrer speziellen Mischung aus Theologie und Poesie zeigte sich an den allegorischen Dramentexten und ihrer Theaterpraxis wie Kult und Bild mit literarischen und theatralen Mitteln Präsenz verliehen wurde. Religiöse Bilder trug man auf den Prozessionen mit, die den geistlichen Spielen vorrangingen. Danach animierten sich die poetischen conceptos der Kultbilder auf der Bühne zu sprechenden und körperlich ausagierten Allegorien. Die Inszenierungsstrategien von Ritual und Theater zur Erzeugung von lebendiger Anwesenheit im Sakramentsspiel konnten durch das Teilprojekt als Mediation beschrieben werden. Dabei wurde gezeigt, wie bei der Produktion von Bildpräsenz, körperlich-räumlicher Bühnenpräsenz und eucharistischer Realpräsenz die Präsenzvarianten gegenseitig voneinander profitieren und sich potenzieren. Die plastischen Allegorien der Schauspielerkörper werden dabei zu Präsenzfiguren, die auf ikonische Muster rekurrieren.

Im Zentrum der Analyse standen drei charakteristische autos sacramentales, mit denen gezeigt wurde, wie verkörperte Allegorisierung auf unterschiedlichen Repräsentationsebenen funktioniert. Die dabei untersuchten Gegenstände waren die Dramentexte, ihre ›Erscheinungsberichte‹ (memorias de apariencias), in denen die bühnenmagischen Effekte von ›Präsenzmaschinen‹ dokumentiert wurden, und die auf Archivmaterial basierende Forschungsliteratur zur frühneuzeitlichen Aufführungspraxis.

Als spezifisches Merkmal des spanischen Siglo de Oro standen die Künste harmonisch im Dialog (Curtius 1936) und insbesondere die Malerei und das Theater waren eng fusioniert. Pedro Calderón de La Barca, der einflussreichste theologische Theaterautor der Gattung, entlehnte zahlreiche seiner Metaphern und Konzepte aus der Malerei. Das Forschungsanliegen ikonischer Präsenz trug insofern auch dazu bei, die Forschungslücke zum »index pictorius« seiner Werke zu schließen. Am Beispiel des Calderon’schen Sakramentsspiels El verdadero dios Pan / Der wahre Gott Pan (1670) wurden erstmals Tropen und Verräumlichungsmechanismen aus der Perspektive einer Poetik der Transsubstantiation erörtert. In diesem Sinne systematisierte das Teilprojekt sprachliche und performative Mittel als Formen von sakramentaler Repräsentation, wie z.B. die Präfiguration (1), Doppelnaturen (2), die Inkorporation durch dramatische Personen (3) (z.B. in der generischen La Idolatría), Transluzenzfiguren (4) und Metamorphosen (5), insbesondere die Transfiguration von Bildern auf der Bühne, bspw. das Bild eines Lammes, das sich im Pan in eine Heiligenstatue der Unbefleckten Empfängnis verwandelt.

Die Ikonizität der Transsubstantiation in der katholischen Festkultur griff durch die koloniale Expansion Spaniens auch auf die Amerikas und Asien aus und wurde als ›Figur des Europäischen‹ Bestandteil eines weltweiten Bildprogramms. Der klassische Auto Sacramental El Divino Narciso / Der Göttliche Narziss (1689) der novohispanischen Autorin Sor Juana Inés de la Cruz zeigt die globale Verflechtungsgeschichte der Gattung. Vom späteren Mexiko aus ergreift sie die Möglichkeiten des eucharistischen Sakraltheaters um über transkulturelle Bilderfragen im Allgemeinen zu reflektieren. Das Bildbegehren als Ergebnis des abwesenden Köpers (1), die Einsetzung von Bilderkulten zur Gedächtnissicherung eines bestimmten symbolischen Erbes (2), die Macht der Bilder (3) und der Ausdruck einer sich wandelnden Opferordnung in neuen Bildern (4) sind Themen, die Sor Juana mittels einer performativen Imagologie verhandelt. Sie bildeten auch die theoretischen Parameter dieses Teilprojektes.

In beiden Werken wurde mit wiederkehrenden Stilfiguren des Doppelns, Verschwimmens und Überlagerns gezielt versucht, eine bewusstseinsübersteigende Wahrnehmung herbeizuführen. Sie haben einen Vorgänger in Lope de Vegas Auto Sacramental La Margarita Preciosa / Die kostbare Perle (1616). Die komplexe und gut dokumentierte Szenographie und Bühnentechnik des Stückes zeigten, wie die materielle Kultur religiöser Theateraufführungen Kopien liturgischer Objekte wie Kelch und Hostie in kongenialer Weise einsetzte, um hermetische Visionserfahrungen zu illustrieren, zu übertragen und einzuüben. Während eucharistische Präsenz Brot in einen unsichtbaren Körper wandelt, verwandelte Lopes theatrale Präsentation das Brot über eine fiktionale Inversion der Farben von Monstranz und Hostie in eine weiße Margerite, Symbol christlicher Mystik. Deren flache Mitte wurde auf der Bühne weiter transfiguriert in eine dreidimensionale Perle (Matthäus 13:45), die nur vom Händler der Glorie erworben werden konnte, dem Protagonisten des Sakramentsspiels. Anhand der drei Werke differenzierte das Projekt, ob, wann und in welchen Formen der sakralisierte Körper der Christusfigur bzw. die realen Körper der Schauspieler erscheinen und den Zuschauerkörpern nahe kommen.


2. Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik, Freie Universität Berlin
Sprecher: Klaus Krüger
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Henry Kaap
Assoziierte Wissenschaftlerin: Friederike Wille

Kunst und Religion in der Renaissance. Der Fall Venedig

Teilprojekt Henry Kaap:
Künstlermobilität und Transregionalität. Zur ästhetischen Struktur von Lorenzo Lottos Altargemälden


3. Centrum raně středověkých studií (Center for Early Medieval Studies), Masarykovy Univerzity Brno
Projektleiter: Ivan Foletti
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Zuzana Frantová

Walking to places with living images [Wege der Bilder und Wege zu den Bildern. Kulte und Pilgerstrassen]

The Christian world worshipped what are in a way possessed images which performed miracles and played their role in the liturgy. From Rome to Fatima and to Constantinople such images »walked« across the public, urban space. Attention will be given to the phenomenon of the activation of static images which performed as a result of mediation and invited the movement of the viewers to meet them, especially in the context of pilgrimage. The presence of a holy place appears first as an idea and as a goal to be reached. Gradually, across a theatrical landscape, the pilgrim started to recognize images that were present (and virtually lived) at a sacred place. The moving pilgrim thus gave life to static objects, which took part in the dynamism of the movement as such. In this sense, an immobile image became – in the pilgrim’s experience – a local icon that attracted ritual performance on the spot and turned into a living image existing in space (the site) and time (the pilgrim’s visit), as formulated by Alexej Lidov (Lidov 2009, cf. also V. and E. Turner, Image and Pilgrimage in Christian Culture).

Teilprojekt Zuzana Frantová:
Repetitive images of pilgrimage churches: workshop praxis or rhetorical strategy?


Siehe auch:
Balzan Preis 2015 für Hans Belting

 

Abb. oben: Francisco de Zurbarán, Santa Faz 1631, Nationalmuseum Stockholm (Ausschnitt), in: Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2006, 121.

Interdisziplinäres Forschungsprojekt gefördert durch die Internationale Stiftung Balzan Preis 2015–2019
Leitung: Hans Belting (Preisträger und Projektleiter)

Publikationen

Sigrid Weigel

Grammatology of Images
A History of the A-Visible

Fordham University Press, New York 2022, 320 Seiten
ISBN 978-1-5315-0015-3
Johanna Abel, Johannes Gebhardt, Sven Jakstat

Präsenzeffekte
Die Inszenierung der ›Sagrada Forma‹ im Real Monasterio de El Escorial

Bildevidenz
Wallstein, Göttingen 2021, 192 Seiten
ISBN 978-3-8353-5040-3
Sigrid Weigel

Grammatologie der Bilder

suhrkamp taschenbuch wissenschaft Bd. 1889
Suhrkamp, Berlin 2015, 487 Seiten
ISBN 978-3-518-29489-5 (Print); 978-3-518-74146-7 (E-Book)

Johanna Abel

  • Pervivencia de un género de arte sacro: »Filipinas« (1954) – un auto sacramental post/colonial de Adelina Gurrea, in: Actas del XX Congreso de la Asociación Internacional de Hispanistas. Madrid/Frankfurt a.M.: Iberoamericana/Vervuert 2022
  • Ritual drama and dramatic ritual in Spanish sacramental plays: »La Margarita Preciosa« (1616) between procession and stage, in: CONVIVIUM. Exchanges and Interactions in the Arts of Medieval Europe, Byzantium, and the Mediterranean VI/1, Brno: Brepols 2019, 148–166
  • Schatten und Kopie im Sakraltheater. Der »auto sacramental« als ikonologisches Reflexionsmedium, in: HeLix. Dossiers zur romanischen Literaturwissenschaft 12.1 (2019): Auto Sacramental: Aktuelle Forschungsbeiträge zum Fronleichnamsspiel in Spanien und Hispanoamerika, 98–106

Hans Belting, Ivan Foletti, Klaus Krüger

  • Iconic Presence: The Life of Images in Religion and Art, an interview with Hans Belting by Victor Stoichita, in: Salvatore Veca (Hg.): Balzan Papers III, Florenz: Olschki 2020, 95–104
  • Hans Belting, Ivan Foletti, Martin Lešák: »The Movement and the Experience of »Iconic Presence«: An Introduction, in: Hans Belting, Ivan Foletti, Martin Lešák (Hg.): Convivium VI.1 (2019): Movement, Images and Iconic Presence in the Medieval World, 10–15
  • Ivan Foletti u.a. (Hg..): Migrating Art Historians on the Sacred Ways. Rom: viella 2018
  • Klaus Krüger: Bildpräsenz – Heilspräsenz. Ästhetik der Liminalität. Göttingen: Wallstein 2018

Veranstaltungen

Interner Workshop
08.03.2019 · 11.00 Uhr

Image and Performativity in Iconic Presence

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Seminarraum 303

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Vortrag
10.07.2018 · 18.15 Uhr

Hans Belting: BildPräsenz und Präsenz im Bild

Freie Universität Berlin, Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz, Arnimalle 10, 14195 Berlin

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Vortrag
28.11.2017

Johanna Abel: From Ritual to Theatre. Spanish Corpus Christi-plays between procession and stage

Center for Early Medieval Studies, Masaryk University, Veveří 470/28, 602 00 Brno (CZ)

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Workshop an der Freien Universität Berlin
19.01.2017 – 20.01.2017

Iconic Presence, Real Presence and Sacred Art

Freie Universität Berlin, verschiedene Veranstaltungsorte

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