Internationales Symposion
14.12.2007 – 15.12.2007 · 01.00 Uhr

Erich Auerbach: Philologie – Geschichte – Verstehen

Ort: Deutsches Generalkonsulat, Inönü Cad. 16-18, 34437 Gümüssuyu-Istanbul
Organisiert von Martin Vialon, Claudia Hahn-Raabe
Kontakt: Martin Vialon, Petra Diehl

Programm

Konferenzsprache: Deutsch und Türkisch (mit Simultanübersetzung)

Der deutsch-jüdische Literaturwissenschaftler Erich Auerbach (9. November 1892 bis 13. Oktober 1957) wurde aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ unter dem Druck des Nazi-Regimes von seinem Lehrstuhl für romanische Philologie an der Universität Marburg im Herbst 1935 suspendiert. Ein Jahr später emigrierte Auerbach nach Istanbul, wo er an der im August 1933 neu gegründeten Istanbul-Universität bis September 1947 lehrte und sein Hauptwerk „Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“ (1946) verfasste. Auerbachs türkische Exilzeit umfasst insgesamt elf Jahre und stellt damit die längste Zeitspanne seines gesamten akademischen Wirkens an einer Universität dar. Dem Ort Istanbul und seinem sich dort herausbildenden intellektuellen Netzwerk ist daher höchste Aufmerksamkeit im Kontext des wissenschaftlichen Bildungstransfers zu widmen.
Aus Anlass von Auerbachs 50. Todestag sollen unter dem Motto „Philologie – Geschichte – Verstehen“ die historischen, literaturwissenschaftlichen, philosophischen, religionssoziologischen, politischen und ästhetischen Prämissen von Auerbachs komparatistischen Literatur- und Bildungsmodells zur Sprache kommen. Es sollte danach gefragt werden, auf welche Weise Auerbachs praktische Lebenserfahrungen im Umfeld des türkischen Säkularisierungs- und Reformprozesses in seinem Werk reflektiert worden sind. Das im Kontext von Mustafa Kemal Atatürks Modernisierungsprozess in der Türkei erfahrene und spannungsgeladene Verhältnis von Tradition, Traditionsabbruch und Erneuerung durchmisst Auerbachs Intention, die überlieferten antiken, jüdisch-christlichen und modernen Erzähl-, Denk- und Deutungsmuster zur Geltung zu bringen. Zu befragen wären seine Texte hinsichtlich ihrer verborgenen und offenen Referenz auf die jüdische Tradition, Auerbachs Beziehungen zur jüdischen Gemeinde Istanbuls und der Geschichte des Judentums in dieser Stadt zur Zeit der dreißiger und vierziger Jahre; ferner wäre der pädagogischen Ausrichtung seines sensitiven Philologie-Begriffs im Zeitalter der Ökonomisierung der Hochschulen eine aktuelle Bedeutung und Interpretation beizumessen; auch im Hinblick auf Auerbachs philosophische Grundlagen im Kontext von Giambattista Vicos und Hegels Geschichtsphilosophie stünden lebensphilosophisch-autobiographische Konzepte zur Diskussion, die aus dem Kreis der Philosophen Josef König, Georg Misch oder Karl Löwith und Max Weber stammen.
Das Symposium knüpft damit auch an eine vor drei Jahren am Zentrum für Literaturforschung Berlin stattgefundene Auerbach-Tagung an; ihre Ergebnisse liegen jetzt in dem von Karlheinz Barck und Martin Treml herausgegebenen Band „Erich Auerbach. Geschichte und Aktualität eines europäischen Philologen“ (Berlin: Kadmos Verlag 2007) vor und beziehen sich auf unterschiedliche Themenkomplexe wie Auerbachs literatursoziologischen Ansatz und seine ideengeschichtlichen Prämissen; ferner werden in dem Band kaum bekannte Texte und Briefe zugänglich gemacht, die teils in Berlin, Marburg, Istanbul oder in den USA entstanden sind. Aufgrund der neuen Publikationslage besteht also genügend Diskussionsstoff für das Symposium, und die vorgeschlagenen, stichwortartigen Inhalte von möglichen Themen mögen Ihnen lediglich als Orientierungspunkte gelten, um eigene Vortragsthemen zu entwickeln.
Am „Zentrum für Literatur- und Kulturforschung“ entsteht jetzt unter Leitung von Martin Vialon eine Ausgabe von Briefen, die ermöglicht, Auerbachs Erfahrungen als Exilant in der Türkei mit seinen in den Schriften vorgenommenen literaturwissenschaftlichen und philosophischen Extrapolationen zu parallelisieren. Zum Symposium wird eine Vorauswahl einiger Briefe unter dem Titel „Martin Vialon (Hrsg.): ‚Und wirst erfahren, wie das salzige Brot der Fremde schmeckt’. Erich Auerbachs Briefe an Karl Vossler (1926-1948)“ (Warmbronn: Verlag Ulrich Keicher 2007) vorliegen, worin unter anderem ersichtlich wird, dass Auerbach sein Verhältnis zur jüdischen Deutungstradition in Form von Kassibern durch literaturhistorische Interpretation Dantes – des kanonischen Dichters des Exils – verarbeitet hatte. Eine Lesung und Erläuterung einiger Exilbriefe ist im Rahmen des Symposiums vorgesehen; in Arbeit befindet sich auch eine türkische Auswahlausgabe von Essays und Briefen (Metis Verlag Istanbul), die von Sezgi Durgun und Haluk Barişcam übersetzt wurden, von Martin Vialon eingeleitet und herausgegeben werden (möglicherweise wird diese Edition zum Symposium vorliegen). Ebenso kann zur weiteren Vorbereitung und Erörterung die kommentierte englischsprachige Übersetzung von einigen Briefen (an Erich Rothacker, Walter Benjamin, Fritz Saxl, Traugott Fuchs, Martin Hellweg und Karl Vossler) herangezogen werden; die Briefe erscheinen mit einer Einleitung diesen Sommer unter dem Titel „Scholarship in Times of Extremes: Letters of Erich Auerbach (1933-1946), on the Fiftieth Anniversary of his Death. Introduction and Translation by Martin Elsky, Martin Vialon, and Robert Stein” (in: Publications of the Modern Language Association of America [PLMA], July 2007). Schön wäre es, wenn an dem ehemaligen Ort von Auerbachs Wirken und 50 Jahre nach seinem Tod durch Ihre Teilnahme ein Signal gesetzt werden könnte, um dem allgemein vorherrschenden Phlegmatisierungsprozess im Jahr der Geisteswissenschaften etwas Substantielles entgegenzusetzen.

 

Freitag, 14. 12. 2007

09.00
Begrüßung

Matthias von Kummer (Deutscher Generalkonsul, Istanbul)
Claudia Hahn-Raabe (Leitung des Goethe-Instituts, Istanbul)

Einführung
Martin Vialon (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin/Yeditepe University, Istanbul)

09.30-11.00
Karlheinz Barck/Martin Treml/Kader Konuk: Auerbach neu lesen: Von der Berliner Jahren zum Istanbuler Exil

11.30-12.30
Hans-Jörg Neuschäfer: Zurück auf den Teppich. Für eine Philologie der Anschaulichkeit

12.30-13.30
Süheyla Artemel: Stilistik und literarische Kritik bei Erich Auerbach, Leo Spitzer und Traugott Fuchs

15.00-15.15
Ludmila Ilinikh: Auerbachs Flügel: Romantische Klaviermusik

15.15-16.15
Matthias Bormuth: Ambivalenz der Freiheit: Erich Auerbach als Theoretiker der Moderne

16.15-17.15
Caroline Marburger: Alexander von Rüstow und Erich Auerbach: Vereinzelung und Standardisierung im Prozess der Säkularisierung

17.45-18.45
Leopoldo Waizbort: Solidaritätskreis in Istanbul: Erich Auerbach und Hellmut Ritter?

18.45-19.45
Martin Elsky/Martin Vialon: Scholarship in Times of Extremes/Reflexionen zum Exil – Lesung von Auerbach-Briefen in englischer und deutscher Sprache

Samstag, 15. 12. 2007

09.00-10.00
Jane O. Newman: Figuren der Romanistik: Auerbach/Krauss, Pascal/Corneille

10.00-11.00
Jan Müller: "Mimesis" als "werktätiger Lebensvollzug". Bemerkungen zum systematischen Verhältnis der Literaturtheorie Erich Auerbachs zur "Göttinger Lebenshermeneutik" Georg Mischs und Josef Königs

11.30-12.30
Turker Armaner: Auerbach und Hegel

12.30-13.30
Mediha Göbenli: Gegen die Enthistorisierung der Literaturwissenschaft: Erich Auerbachs "Philologie der Weltliteratur"

15.00-16.00
Giacomo Saban: Souvenirs zu Erich Auerbach, seiner Familie und zum Judentum in Istanbul

16.00-17.00
Rifat Bali: Juden in Istanbul. Die Geschichte von 12 schwierigen Jahren: 1933-1945

17.30-18.30
Martin Elsky: Erich Auerbach: Nationalität, Identität, Religion: Figurale Deutung, Judentum und ein Blick zurück auf die deutsch-liberale Bibelhermeneutik

18.30-19.30
Martin Vialon: Verborgenes und offenes Judentum bei Erich Auerbach

19.30
Oksana Batalowa: Choreographische Darbietung nach der Filmmusik von "Schindler Liste"