Das Wissen vom Auge. Wahrnehmungsgeschichte und Bildpraxis
Mediziner, Physiologen und Psychologen nutzen seit dem 19. Jahrhundert zunehmend Bilder und Instrumente für die experimentelle Erforschung der visuellen Wahrnehmung. Sie veröffentlichen diese in Publikationsorganen und Netzwerken und verbreiten derart neues Wissen vom Sehen. Mit Entstehung der wissenschaftlichen Augenheilkunde wurden medizinische Verfahren standardisiert, um in den lebenden Körper hineinzusehen.
Von dieser anhaltenden Entwicklung ausgehend widmet sich der Workshop dem Einsatz von Bildern und den mit ihnen verbundenen Praktiken und Fragestellungen der Wahrnehmungsforschung. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich von der Neuzeit bis in die Gegenwart; thematisiert werden Nachbildeffekte in frühen Augenexperimenten, die Etablierung des Augenspiegels, die Verflechtungen visueller und auditiver Untersuchungsverfahren ebenso wie Testbilder in der Gestaltpsychologie.
Neben der Ästhetik des wissenschaftlichen Forschens wird die Bildpraxis fokussiert, mit der Künstler seit dem 20. Jahrhundert Phänomene wie Farbkontraste erforschen oder Stroboskopeffekte und visuelle Irritation einsetzen. Wie kann mit Hilfe des Wissens um die Bedingungen experimenteller Wahrnehmungsforschung auch neu über visuelle Phänomene in der Kunst nachgedacht werden? In welcher Beziehung stehen Wahrnehmungsästhetiken der Kunst zum Wissen vom Auge?
Ziel ist es, das Verhältnis von Ästhetik und Funktion der Bilder in der Wahrnehmungsforschung zu diskutieren und deren Rolle als Vermittler zwischen Experimentalpraxis und Theoriegewinnung auszuloten. Perspektivisch ließe sich damit eine Vorgeschichte der jüngeren Empirisierung geisteswissenschaftlicher Fächer skizzieren, wie sie beispielsweise in der Neuro-Ästhetik oder Neuronalen Kunstgeschichte zu beobachten ist.
Der Workshop ist eine Veranstaltung des Projektes Wissenspraktiken. Bilder in den Lebenswissenschaften, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
Program
Donnerstag, 24.11.2016
13.30–13.45
Begrüßung u. Einführung: Margarete Vöhringer und Jana August (beide ZfL)
13.45–14.30
Karin Leonhard (Konstanz): Dichtung und Wahrheit in der Frühen Mikroskopie
14.30–15.15
Ulrike Boskamp (Berlin): Das Sehen von Bildern und Phantomen: Nachbildexperimente und Modelle des Farbensehens im 18. Jahrhundert
15.45–16.30
Corinne Doria (Paris): Normalizing Eyesight. The Formation of Ophthalmology in 19th Century Europe
16.30–17.15
Melissa van Drie (Cambridge): Staging Auscultation, Studying Auditory Perception. The Multi-sensorial Techniques and Tools of Medical Diagnosis
17.30–18.15
Florian Breitsameter (München): Vom Helmholtz'schen Augenspiegel zum Retina-Implantat
Freitag, 25.11.2016
9.30–10.15
Iris Winkelmeyer (München): Franz Marc, sein Prisma und die »Beliebigkeit der Farbe« - eine Rekonstruktion
10.30–11.15
Margarete Pratschke (Zürich): Die Form der Gestalt. Zu den Experimentalbildern und Filmen der Gestaltpsychologie
11.15–12.00
Nina Zschocke (Zürich): Das instruierte Auge. Wahrnehmungsanweisungen im Labor und in der zeitgenössischen Kunst
12.15–13.00
Inge Hinterwaldner (Berlin): Augen auf – zu viel, zu schnell – Augen zu
Fazit – Ende
Abb.: Helen MacMahon: Motion Aftereffect Illusion, 2016, Standbild.