»Die Unfähigkeit zu trauern« – Ambivalenz und Aktualität. 50 Jahre danach
Published contribution on the event:
Daniel Weidner: »Die Unfähigkeit zu trauern« – Geschichte einer Abwehr?, in: ZfL Blog. Blog des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, Berlin, 14 Nov 2017
In collaboration of RWTH Aachen and Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin
Alexander und Margarete Mitscherlichs 1967 erschienenes Buch Die Unfähigkeit zu trauern ist ein Klassiker der Diskussion zur deutschen Vergangenheitsbewältigung. Wie so oft heißt das auch, dass insbesondere sein Titel zwar oft zitiert, der Text aber selten gelesen wird. Die Tagung zielt zum einen durch eine intensive Auseinandersetzung auf dessen Historisierung; so wird das Buch im Rahmen seiner Entstehungszeit und im Zusammenhang der verschiedenen Stadien seiner Rezeptionsgeschichte betrachtet. Zum anderen sollen die sachlichen Fragen diskutiert werden, die damals aufgeworfen wurden: etwa die Kritik an der Vergangenheitsbewältigung, die Zeitkritik der Wohlstandsgesellschaft oder die Möglichkeit des gesellschaftlichen Nutzens der Psychoanalyse. Die Tagung fragt nicht zuletzt nach dem anhaltenden Irritationspotential, das dem Text möglicherweise inne wohnt: Historisierung bedeutet hier auch, am Buch der Mitscherlichs unser Bild der Vergangenheit zu überprüfen.
Program
Thursday, 30.11.2017
13.30–15.00
Stephan Braese (RWTH Aachen), Daniel Weidner (ZfL): Einführung
Tobias Freimüller (Fritz Bauer Institut Frankfurt a.M.): Alexander Mitscherlich, der Nationalsozialismus und die Entstehungsgeschichte der »Unfähigkeit zu trauern«
15.30–17.30
Dagmar Herzog (City University of New York): Die Politik der Aggression und die Rückkehr der Psychoanalyse nach Deutschland. Alexander Mitscherlich in der Auseinandersetzung mit Konrad Lorenz
Werner Konitzer (Europa-Universität Viadrina Frankfurt O.): Die »Unfähigkeit zu trauern« und die Frage nach der nationalsozialistischen Moral
18.00
Wolfgang Hegener (HU Berlin): Im »Hohlraum der Rede« (Adorno) oder warum der Antisemitismus in »Die Unfähigkeit zu trauern« fehlt
19.00
Roundtable: »Die Diagnose gilt noch«. Margarete Mitscherlichs Relektüre der »Unfähigkeit zu trauern« 1987
Friday, 01.12.2017
9.30–11.30
Micha Brumlik (Berlin): Vaterlosigkeit: nach 1945 – aber auch: nach 1918. Über eine Leerstelle im Werk Mitscherlichs
Patrick Eiden-Offe (ZfL): Für eine ›Massenpsychologie ohne Ressentiment‹. Mitscherlichs immanente Kritik einer Forschungstradition
12.00–13.00
Alfred Bodenheimer (Universität Basel): Die Fähigkeit zu lachen. Jüdischer Humor ohne Juden in der deutschen Nachkriegsgesellschaft
14.00–16.00
Claude Haas (ZfL): Trauer als Trost? Die Mitscherlich-These und der Kriegsroman nach '45
Nicolas Berg (Simon-Dubnow-Institut Leipzig): »Das Buch meines Lebens«. Ralph Giordano liest »Die Unfähigkeit zu trauern«
16.30–18.30
Christian Schneider (Universität Kassel): »Die Unfähigkeit zu trauern« – Diagnose oder Parole?
Ill.: Margarete und Alexander Mitscherlich, © Photoarchiv des Sigmund-Freud-Instituts, Frankfurt a.M.