Arbeitstagung im ZfL
07 Dec 2006 – 08 Dec 2006

Gesetz der Serie. Zum Verhältnis von Wiederholung und Serie in Biologie, Literatur und Kunst

Venue: ZfL, Jägerstr. 10/11, 10117 Berlin, R. 06
Contact: Christine Blättler
Research project(s): Serialität

Program

Eine Häufung ähnlicher Unglücksfälle kommentieren Massenmedien mit der Wendung ‚Gesetz der Serie’ und suggerieren damit einen schicksalhaften Charakter von Zufällen. Doch was hat es mit dem ‚Gesetz’ auf sich, wenn erst die mediale Vermeldung die Serie herstellt?
Mit seiner Formel vom Gesetz der Serie hatte es der Biologe Paul Kammerer weder auf handfestes Unglück noch flüchtige Medienerzeugnisse abgesehen, sondern er wollte damit ein dem Kausalitätsprinzip der klassischen Physik gleichwertiges Grundprinzip erfassen. In einem lebenslangen Projekt gegen den blinden Zufall sammelte und systematisierte er Wiederholungen als nicht-kausale serielle Ereignisse, die er 1919 in seinem Buch Das Gesetz der Serie veröffentlichte. Unter den ersten Lesern war auch Sigmund Freud. Dauerbeschäftigt mit dem psychoanalytischen Grundbegriff der Wiederholung, mußte ihn das Unternehmen des „geistvollen Naturforschers“ interessieren.
Es ist kein Zufall, dass Freud seine Beispiele für den zwanghaften Charakter der Wiederholung aus der Literatur, namentlich derjenigen E.T.A. Hoffmanns, genommen hat. Als grundlegendes literarisches Strukturelement markieren Wiederholungen phonetische, metrische, syntaktische, semantische und narrative Einheiten. Sie äußern sich vielgestaltiger als in Doppelgängern und (Leit-)Motiven, manifestieren sich als rhetorische Figuren, Homo- und Synonymie, Reim, Refrain, Spiegelung, Echo, Variation, Zitat, Wiederaufnahme oder Parodie. Inwiefern diese strukturwirksamen Elemente Serien bilden, bleibt als Frage stehen – wenn man Serialität nicht einfach mit Wiederholungskunst identifiziert, wie das Umberto Eco tut, sondern als Prinzip der Reihung versteht.
Serien und Wiederholungen treten in ganz unterschiedlichen Wissensgebieten auf, sie zirkulieren und transferieren. Die Linguistik kennt Serien durch den russischen Formalismus mit seinen konstruktiven Reihen und die Strukturalisten mit ihren paradigmatischen und syntagmatischen Reihen. Naturforscher versuchten schon im 18. Jahrhundert, dem Gesetz des Lebendigen auf die Spur zu kommen, indem sie Tableaus als ‚Serien von Serien’ (Foucault) aufstellten, deren einzelne Elemente sie nach Differenzen und Ähnlichkeiten ordneten. Heute träumen Naturwissenschaftler von identischen Wiederholungen in Experimentalreihen, wie sie in den Serien der industriellen Produktion verwirklicht sind, obwohl gerade Abweichungen epistemisch aufschlussreich sind. Die ganze Palette von ‚differenten Wiederholungen’ wird, nicht nur mit Gilles Deleuze, in der Kunst besonders sinnfällig, auch wenn es zu Überkreuzungen mit dem industriellen Paradigma oder arithmetischen und geometrischen Reihen kommt.
Für die kulturhistorische Wissensforschung stellen vieldeutige Begriffe und mannigfaltige Ausprägungen ein reiches epistemisches Reservoir dar: Figuren wie Serie und Wiederholung bündeln, brechen und streuen Wissen. Die Veranstaltung ‚Gesetz der Serie’ fokussiert auf formale Aspekte. Als Ausgangspunkt stellen sich Fragen wie: Wird die jeweilige Serie als ein Prinzip der Produktion (Herstellung, Verfahren) oder als ein Modus der Präsentation verstanden? Realisiert sich die Serie in Raum oder Zeit, und wie sind die betreffenden Räume und Zeiten charakterisiert? Zielen die einzelnen Elemente beziehungsweise Wiederholungen auf die Identität oder Identifizierung mit einem Prototyp oder arbeiten sie mit Differenzen und Diversitäten (gleichen, ähnlichen oder unterschiedlichen Merkmalen)? In jedem Fall fungieren Serien als Ordnungsmuster – doch wo steckt das Gesetz dieser Ordnung? In den Dingen selbst, in einer Kategorie des Verstandes, in einem bestimmten Diskurs oder einer Praxis? Was Serien ausmacht, und welche Rolle Wiederholungen spielen, wird an Beispielen aus Biologie, Literatur und Kunst untersucht und fall- und disziplinenübergreifend zu diskutieren sein.

 

DONNERSTAG, 7.12.2006

14.00
Sigrid Weigel (ZfL): Begrüssung
Christine Blättler (ZfL): Einführung

Taxonomische Kunststücke
Moderation: Christine Blättler (ZfL)

14.30
Alexandre Métraux (Mannheim): Anschauungsorte. Taxonomie, Textverwaltung und die Logik der Prosa bei Georges Perec

15.30
Cord Riechelmann (Berlin): Reden wie ein Hund - Pfeifen wie eine Maus - Lernen wie ein Dachs. Über abgebrochene Serien im Tier-Werden in Kafkas Erzählungen

16.30 Kaffeepause

Strategien des biologischen Experiments
Moderation: Erik Porath (ZfL)

17.00
Ohad Parnes (ZfL): "Eine lange Reihe von Generationen". Serialität und Vererbung 1850-1920

18.00
Christina Brandt (MPIWG): Standardisierung und Reproduktion: Klone als technische Objekte in den Biowissenschaften (1910-1960)

20.00 Abendvortrag
Moderation: Michael Angele (netzeitung.de)
Henning Ritter (FAZ): Wieviel Zufall braucht der Mensch? Paul Kammerer und das Gesetz der Serie

FREITAG, 8.12.2006

Ordnungsdiskurs und Kunst
Moderation: Sabine Flach (ZfL)

10.00
Janina Wellmann (MPIWG): Leben als Serie: Die embryologischen Arbeiten von Christian Heinrich Pander und Karl Ernst von Baer

11.00 Kaffeepause

11.30
Bergit Arends (London): Von der Dynamik der Ordnung

12.30
Elke Bippus (Zürich): Identifizierungen und Ephemerisierungen in serieller Kunst

Literarische Figurationen
Moderation: Sandro Zanetti (Basel)

15.00
Armin Schäfer (Weimar): Wiederholung und Serie in Goethes Morphologie

16.00 Kaffeepause

16.30
Elisabeth Strowick (ZfL): Nachkommenschaften. Stifters Serien

17.30
Dorothea Löbbermann (HU Berlin): Repräsentation und Serialität in den Romanen von Brett Easton Ellis

20.00 Vortragskonzert
Gerhard Herrgott (Berlin): Wanderer-Fantasien. Franz Liszt und die Figuren des Begehrens
Ort: Mendelssohn-Remise im Geschichtsforum am Gendarmenmarkt, Jägerstraße 51, 10117 Berlin

Publications

Christine Blättler (ed./eds.)

Kunst der Serie
Die Serie in den Künsten

Trajekte-Buchreihe
Wilhelm Fink Verlag, München 2010, 231 pages
ISBN 978-3-7705-5005-0