Grundordnungen. Wechselbeziehungen zwischen Geographie, Religion, Kultur und Gesetz
Program
Abschluss-Symposium des Projekts
Topographie pluraler Kulturen Europas in Rücksicht auf die 'Verschiebung Europas nach Osten
(Europa-Schwerpunkt des BMBF-Förderprogramms 'Geisteswissenschaften im gesellschaftlichen Dialog')
Mit der ,Verschiebung Europas nach Osten’ scheint die Geographie in die Politik zurückgekehrt. Nicht nur Konflikte im ,Nahen Osten’ und im ,zentralasiatischen Hochland’, sondern auch die ethnisch-konfessionellen Grenzziehungen und ,ethnischen Säuberungen’ auf dem Balkan verweisen auf eine verstärkte Bezugnahme kultureller und politischer Ordnungen auf den Raum. Die Konflikte sind symptomatisch für eine gegenwärtige Krise, in die das viele Jahrzehnte allein vom Westen her gedachte Projekt einer transnationalen Integration ‚Europas’ geraten ist. In dieser Situation geht es der Tagung darum, nach der Beziehung von Raum und Ordnung in der europäischen Kulturgeschichte zu fragen. Im Blick auf die jüngeren politischen Verwerfungen einerseits und angesichts des ‚topographical/ spatial turns’ in den Humanities sind gerade die historisch arbeitenden Kulturwissenschaften zu einer kritischen Analyse geopolitischer Konzepte und Entwicklungen aufgerufen. Im Zentrum der Tagung steht dabei das Vorhaben, Europa von seinen vermeintlichen Rändern her neu zu beleuchten und nach den Wechselbeziehungen zwischen geographischer, religiöser, kultureller und politischer Ordnung zu fragen. Anders gesagt:
Welche anderen Gründe sind es neben dem Grund – im Sinne von Boden/ Territorium - , auf/ mit denen eine Grundordnung – im Sinne von Verfassung – begründet wird ?
Tatsächlich haben sich kulturelle und politische Ordnungen stets in Beziehung zu einem ,Territorium’ konstituiert: in Beziehung zum ,eigenen’ Boden oder zum ,Mutterland’, zu ‚natürlichen Grenzen’, zu Räumen, Landschaften und Horizonten. Selbst noch Begriffe wie Exil oder Diaspora definieren sich über die Entfernung von einem als originär verstandenen Ort. Territorien und Orte sind Bezugspunkte und Schauplätze von Gründungserzählungen, mit denen Gemeinschaften den Ursprung von Zugehörigkeit, Legitimität und Souveränität erinnern und basale Unterscheidungen treffen, wie jene zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Freund und Feind. Der Begriff der ‚Grundordnung’ soll in seiner Mehrdeutigkeit gerade diese beiden Bereiche zusammendenken und die Beziehung von Boden und Gründung befragen.
Im Hinblick auf ‚Europa’ jedenfalls steht die Frage nach der politischen Grundordnung oder der Verfassung ,Europas’ immer in Verbindung mit der Frage nach Grenzen – sein es die immer schärfer gezogenen Außengrenzen, sein es die zahlreichen Binnendifferenzierungen, die sich zwischen den verschiedenen Zonen und Regionen Europas abzeichnen – ebenso wie der Frage nach Transfers und Migrationen, Verbindungen und Verträgen. Dabei sind weniger solche Fälle interessant, in denen politische und geographische Einheit in einer Landnahme zusammenfallen, da solche vermeintlich ,normalen’ Nationsbildungen im Horizont von Europas Rändern eher eine Ausnahme darstellen. Charakteristisch sind hier vielmehr komplexe Überschreibungen und Überschneidungen von Grenzen, welche die prämodernen Imperien ebenso prägen wie die post-nationalen Staaten und Staatenverbände.
Das Forschungsprojekt "Topographie pluraler Kulturen Europas in Rücksicht auf die 'Verschiebung Europas nach Osten'" hat es sich unter anderem zur Aufgabe gesetzt, Untersuchungsparameter zu entwickeln, die quer zu den Gegenständen der Einzelwissenschaften stehen, und diese versuchsweise 'Textordnungen', 'Bildordnungen', 'Kleiderordnungen', 'Affektordnungen' und 'Grundordnungen' genannt. In einer Reihe interdisziplinärer Symposien werdenen unter Beteiligung von Kunst-, Literatur- und Religionswissenschaftlern sowie von Arabisten, Judaisten, Slawisten und Turkologen grundlegende Voraussetzungen für jede kulturwissenschaftliche Forschung untersucht, die es mit unterschiedlichen Religionen und Kulturtechniken zu tun hat.
Mittwoch, 17. Februar 2010
19.00 Uhr: Eröffnungsvortrag
Rodolphe Gasché (Buffalo, NY): Beyond the nature/culture divide: On Europe’s non-identical identity
im Anschluss Gespräch mit Karlheinz Barck und Zaal Andronikashvili (beide ZfL)
Donnerstag, 18. Februar 2010
15.00 - 17.30 Uhr
1. GRUNDORDNUNGEN ZWISCHEN OST UND WEST (I)
Moderation: Sigrid Weigel (ZfL)
Thomas Macho (HU Berlin): Europas Grenzen. Zur imaginären Topologie eines Kontinents
Andreas Pflitsch (ZfL): ‘Diese kleine Nation’. Gründe für den Libanon
18.00 Uhr
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)
Giorgi Maisuradze (ZfL): Pater, Patria, Patriotismus: Zur Geschichte der Ausbildung des Vaterland-Begriffs
Sigrid Weigel (ZfL): Die Nation, die Bibliothek und das Grab
Freitag, 19. Februar 2010
11.30 - 13.30 Uhr
2. RELIGION, GRÜNDUNG, TOPOS
Moderation: Martin Treml (ZfL)
Giuseppe Veltri (Halle-Wittenberg): Die Stadt, das Ghetto und der Rabbi: Zur Verräumlichung politischen Wissens im jüdischen Denken zwischen Renaissance und Aufklärung
Nitzan Lebovic (Sussex/Jerusalem): Constituting Order, Grounding the End: Why Grundordnung cannot come before the End of Politics
15.00 - 16.00 Uhr
Marc Nichanian (Sabanci University, Istanbul): Philological Mourning. Edward Said and After
16.30 - 18.30 Uhr
3. DIESSEITS UND JENSEITS DES IMPERIUMS
Moderation: Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)
Susanne Frank (HU Berlin): Expansive Bewegung und abgrenzende Festigung: Konkurrierende imperiale Grundordnungen in Russland
Stefan Troebst (Leipzig): „Tidal (Eastern) Europe“: die pulsierende Staatenlandkarte Ostmitteleuropas (1000-2000)
19.00 Uhr: Abendvortrag
Dan Diner (Leipzig/Jerusalem):
Synchrone Welten.
Raum - Zeitliche Konstellationen Jüdischer Geschichte
Moderation: Sigrid Weigel (ZfL)
Samstag, 20. Februar 2010
4. LAND UND MEER
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)
10.00 - 12.00 Uhr
Gerhard Wolf (KHI Florenz): Farbige Meere, pontische Exile und amphibische Grundordnungen
Hannah Baader (KHI Florenz): Farbige Meere, thalassische Architekturen
12.30 - 13.30 Uhr
Michael Kempe (St. Gallen): Am Rande des Rechts. Piraterie und die maritimen Grenzen Europas in der frühen Neuzeit
15.00 - 17.00 Uhr
5. GRUNDORDNUNGEN ZWISCHEN OST UND WEST (II)
Moderation: Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)
Dimitrios Kisoudis (Heidelberg): Westthrakien zwischen Europa und Asien
Tatjana Petzer (Konstanz/Zürich): Geoma(n)tiker des Balkans
17.30 Uhr
Stephan Braese (Aachen): Joseph Roths Grenze – in besonderer Rücksicht auf ‚den Osten Europas’
Zaal Andronikashvili (ZfL): Der Kaukasus als Grenzraum. Ein A-Topos der russischen Literatur
Siehe auch:
Programm des Symposiums Bild- und Textordnungen im religionskulturellen Vergleich (6.-8.12.2007)
Programm des Symposiums Kleider und Affekte. Ungleichzeitigkeiten der europäischen Moderne (23.-24.1.2009)