Karl-Heinz Kohl (Frankfurt a.M.): Indigenisierung, Neo-Traditionalismus und das Erbe der Ethnologie

War der radikale Bruch mit der Tradition zunächst der Preis, den indigene Gesellschaften für ihren Anschluss an die Moderne zu zahlen hatten, so lassen sich heute weltweit Prozesse beobachten, die in die umgekehrte Richtung gehen. Alte Überlieferungen werden wiederentdeckt, revitalisiert und für politische Zwecke verwendet. In Berufung auf die 2007 verabschiedete Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker dienen sie der Begründung von territorialen Besitzansprüchen, Restitutions- und Repatriierungsforderungen.
Bei der Rekonstruktion der früher nur mündlich weitergegebenen Traditionen spielen die Dokumentationen von Ethnologen eine zentrale Rolle. Sie sind in vielen Fällen die einzigen schriftlichen Zeugnisse über ihre eigene Vergangenheit, über die indigene Gesellschaften verfügen. Wie auf dieser Grundlage die Wiederbelebung des eigenen Kulturerbes durchaus selektiv und oft auch in Anpassung an alte Fremdbildstereotype erfolgt, soll an ausgewählten Beispielen erörtert werden.

Moderation: Judith Elisabeth Weiss (ZfL)

Karl-Heinz Kohl ist Professor emeritus für Kultur- und Völkerkunde und Direktor des Frobenius-Instituts an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von 2007 bis 2011 war Kohl Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde, seit 2005 ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind Religions- und Verwandtschaftsethnologie, Xenologie und die Geschichte der Ethnologie.

Publikationen (Auswahl)

• Der Kaiser und sein Forscher. Der Briefwechsel zwischen Wilhelm II. und Leo Frobenius (Mithg., Stuttgart 2012)
• The end of anthropology (Mithg., Wantage 2011)
• Transfer und Wiederaneignung von Wissen (Mithg., Altenstadt 2011)
• Gestalter und Gestalten. Hundert Jahre Völkerkunde in Frankfurt am Main (Mithg., Frankfurt a.M. 2006)
• Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte (München 2003)