International conference in cooperation of ZfL and Ilia State Univerity Tbilissi
22 May 2014 – 23 May 2014

Raum, Nation, Imperium. Kulturelle Semantik politischer Räume

Venue: Staatliche Ilia Universität Tbilissi, Kakutsa Cholokashvili Ave 3/5, Tbilissi, Georgien
Research project(s): The Cultural Semantics of Georgia

Program

Donnerstag/Thursday, 22.05.2014
10.00

  • Giga Zedania (Tbilissi): Begrüßung/Eröffnung
  • Zaal Andronikashvili/Franziska Thun-Hohenstein (beide ZfL): Eröffnung

10.30 I. Land und Meer

  • Stefan Troebst (Leipzig): Geschichtsregionale Schwarzmeerkonzepte in den Kultur- und Sozialwissenschaften

11.15–12.15

  • Zaal Andronikashvili: Autochthony and Thalassophobia. Cultural Semantics of Spatial Reference in Georgian Culture
  • Martin Treml (ZfL): Grundordnungen versus Familienordnungen. Inzest, Autochthonie, Frauenraub im antiken Griechenland

12.35–14.00 II. Raum und Sprache

  • Stefan Willer (ZfL): Sprachräume. Languages and Territories
  • Nino Doborjginidze (Tbilissi): Zusammengehörigkeit und Abgrenzung. Zur Legitimation der georgischen Sprache inner- und außerhalb des griechisch-byzantinischen Raums des Mittelalters

16.00 III. Imperiale Raumkonstruktion. Das Projekt »multinationale Sowjetliteratur« und seine Folgen

  • Franziska Thun-Hohenstein: Die Kartierung (Mapping) des »multinationalen« literarischen Sowjetimperiums
  • Susanne Frank (HU Berlin): Transnationale Tendenzen in postsowjetischen Literaturen

Freitag/Friday, 23.05.2014
10.30–11.30 III. Imperiale Raumkonstruktion (Fortsetzung)

  • Falko Schmieder (ZfL): Das Konzept des ›Lebensraums‹ bei Friedrich Ratzel

12.00–13.30

  • Oliver Reisner (Tbilissi): Die Verhandlung von Raum und Region auf dem Kraevedenie[Landeskunde]- Kongress in Batumi 1926
  • Sebastian Cwiklinski (ZfL): From Republic to Empire and back. Discussions on Space and Belonging among Turkic Intellectuals in the post-Perestroika Period

15.30 IV. Nationale Raumkonstruktionen

  • Eka Tchkoidze (Tbilissi): From imperial to sacral Space. Some aspects of Pilgrimage from Russia to Sinai in the 19th Century
  • Claude Haas (ZfL): Raum und Erde. Wem gehört der Unbekannte Soldat?
  • Emzar Jgerenaia (Tbilissi): Abchasische Aneignungsstrategien des mittelalterlichen Geschichtsraumes

Genealogie der kulturellen Semantik des Raumes, d.h. die Frage nach symbolischen, imaginären und affektiven Besetzungen des geographischen Raumes, welche die Konstitution und den Umbau politisch-territorialer Gebilde begleiten und grundieren. Ausgangshypothese ist die Beobachtung, dass in den Verhandlungen über und Konflikten um nationale Territorien kulturelle Kodierungen virulent werden, die Symptome vergangener, teils unaufgearbeiteter Erbschaften sind. Die kulturelle Semantik fragt nach der topographischen Symbolik, nach raumbezogenen Topoi der Geschichte, die in bestimmten historischen Konstellationen aktualisiert und als ›Nachleben‹ vergangener Affekte untersucht werden. Eine solche Forschungsperspektive rückt unterschiedliche Modelle und Strategien des Bezugs einer Gemeinschaft auf den Raum ins Blickfeld.
Territorialisierung kann als eine Strategie der Nation verstanden werden. Obgleich sich Nationen vielfach über die behauptete natürliche Verortung in einem bestimmten geographischen Territorium mit klar gezogenen Grenzen definieren, ist dieser Bezug selbst dann nicht unproblematisch, wenn der Raum des Nationalstaats mit dem des Vorgängerstaates zusammenfällt (wie etwa im Falle Frankreichs). Komplizierter verhält es sich im Falle von pluralen Kulturen (insbesondere an den südöstlichen ›Rändern‹ Europas), die am Schnittpunkt mehrerer Imperien Schauplatz oft wechselnder symbolisch-topographischer Ordnungen waren: Das gilt für »imperiale« Nationen (wie die russische oder die österreichische) ebenso wie für Nationen, die sich erst innerhalb eines Imperiums herausbildeten, selbst wenn sie auf eine ältere Staatlichkeit zurückblicken können, aber von Imperien einverleibt und daher zu verspäteten Nationen wurden (wie etwa die georgische, serbische, ungarische). In solchen Fällen beanspruchen »kleine« wie »größere« Nationen ein und denselben geographischen Raum zurück, der semantisch je unterschiedlich aufgeladen wird.
Vor diesem Hintergrund fragt die Tagung nach Konzepten, Mechanismen und Verfahren der kulturellen Konstruktion von Räumen, nach Strategien affektiver und symbolischer Raumbesetzung zwischen Volk, Nation und Imperium.
Räume können durch kulturelle Praktiken wie etwa Pilgerfahrten, die Errichtung von Klöstern oder bestimmte Handelswege konstruiert werden. In diesem Fall ist danach zu fragen, ob und auf welche Weise affektiv besetzte Vorstellungen von Zugehörigkeit bzw. Gemeinsamkeit entstehen und ob damit nationales Raumverständnis verbunden ist. Dieses fällt zwar nicht notwendig mit dem imperialen Raum zusammen, kann aber als eine Art imperiale Erbschaft verstanden werden. Eine weitere Frageperspektive ist die nach differenten (narrativen) Strategien der Ver-Ortung der Nation – sei es durch die Behauptung der genealogischen Verknüpfung einer Gemeinschaft mit dem geographischen Raum (Autochthonie), sei es durch eine Verortung im Raum der Kulturgeschichte (das Konzept der Kulturnation) oder im Raum der Sprache, wobei nach dem Modus der meist später erfolgende Übertragung auf den politischen Raum zu fragen ist.
Ein spezieller Focus der Tagung richtet sich auf Georgien als einen Grenzraum, in dem und an demAbgrenzungen zwischen Nation und Imperium und darüber hinaus zwischen Orient und Okzident verhandelt werden. Von besonderem Interessant ist dabei die Genealogie des Nationalverständnisses am Schnittpunkt von Geographie, Religion und Sprache. Dazu gehört die wechselnde Selbstverortung in Bezug auf den Kaukasus oder die ›Entdeckung‹ des Schwarzen Meeres und dessen Bedeutung für die symbolische Imagination des eigenen Raumes.

Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.

Cultural semantics ask about topographic symbolism, about the space-related topoi of history which, in certain historical constellations, are renewed and investigated as the ›heritage‹ of past emotion-based attitudes. This kind of research perspective focuses on the various models and strategies that different communities employ in making a particular space a place of reference.
Territorialization can be regarded as the strategy used by a particular nation. Although nations often define themselves in terms of belonging to what they claim to be their natural home in a specific geographical situation with clearly defined borders, this referentiality itself is not without problems, especially if the space taken up by a nation state coincides with that occupied by a preceding state. The situation is further complicated by the existence of plural cultures, which, at the point where several empires intersect, have been sites of frequently changing symbolic/topographical orders. This equally applies both to »imperial« nations and to those nations which emerge within an empire, even if they can look back over older political systems but have been swallowed up by empires, becoming nations only at a later point in time. In such cases, both »small« and »large« nations reclaim one and the same geographical space which they then charge with different meanings.
Spaces can be constructed by means of cultural practices such as pilgrimages, the establishment of monasteries or certain trade routes. In such cases we should ask whether – and if so how – emotionally charged notions of »belonging« or of »common ground« come into being and whether this is related to a view of space as a national entity. Although this does not necessarily coincide with imperial space, it can be seen as a kind of imperial legacy. Another question relating to this perspective is that of different (narrative) strategies for determining the specific whereabouts of a nation – whether it be by assessing the genealogical links between community and geographical space (autochthony), by means of location in a space of significance in historical, cultural terms (the concept of the cultural nation) or, in the area of language, by exploring the means through which it usually gets transferred at some later point to the political domain.
The particular focus of the conference is on Georgia as a border region where the demarcations between a nation and an empire and, furthermore, between Orient and Occident are subject to negotiation.

Conference languages are German and English.