Überleben. Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaften?
Program
Veranstaltet vom Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte
Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin (IKK) in Kooperation
mit der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin und dem Zentrum
für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL)
Leitung und Moderation:
Hermann Haarmann (IKK), Falko Schmieder (IKK/ZfL)
Das
20. Jahrhundert ist als katastrophales Jahrhundert bezeichnet worden,
dessen schrecklichste Zäsur der Zivilisationsbruch (Dan Diner) von
Auschwitz markiert. Seit diesem Geschichtsbruch ist das Bewusstsein
lebendig geblieben, dass die Bedingungen, die Auschwitz hervorgebracht
haben, keineswegs vollständig aufgehoben sind. In jüngster Zeit hat
Giorgio Agamben die provozierende These vertreten, dass die Lager nicht
als historische Tatsache zu betrachten sind, sondern als „versteckte
Matrix des politischen Raumes, indem wir immer noch leben.“ In den daran
anknüpfenden Diskussionen ist jedenfalls deutlich geworden, dass die Neue Weltordnung
nicht das Ende der Geschichte oder der Ideologien markiert; vielmehr
steht sie vor immensen Herausforderungen, wobei gegenwärtig unklar ist,
wie ihnen begegnet werden kann. Exemplarisch hierfür ist die Problematik
der Ökologie, von der immer häufiger gesagt wird, dass sie zu den
größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gehört. Unbestritten
dürfte sein, dass sich mit ihr die Frage nach den ,Überlebensbedingungen
der Menschheit’ in einer historisch neuen Weise stellt. Sichtbar wird
das daran, dass die universelle Gefährdung der Gattung heute nicht mehr
nur an das Thema des Krieges oder an einzelne gefährliche Technologien,
sondern an die herrschende Form ihrer ökonomischen Reproduktion gebunden
ist. – Es dürfte mit diesem Wechsel der Sicht auf die Ursachen der
Gefährdung des Lebens zusammenhängen, dass seit einiger Zeit auf den
unterschiedlichsten Feldern das Konzept des Überlebens zum Einsatz
gelangt. Ein Ziel des Symposions besteht darin, diesem Wandel, der sich
provisorisch als Übergang von einer anthropologischen ,Philosophie des
Lebens’ zu einer anthropofugalen ,Philosophie des Überlebens’ begreifen
lässt, anhand exemplarischer Fallstudien genauer nachzuspüren. Darüber
hinaus soll es um das Nachleben der Shoah und um die Frage nach dem
Zusammenhang der verschiedenen Überlebensbegriffe gehen.
Donnerstag, 5. Februar 2009, 14.00-19.00
- Hermann Haarmann, Falko Schmieder (Berlin): Begrüßung und Einführung
I. Trauma und Geschichte
- Detlev Claussen (Hannover): Das Nachleben von Auschwitz
- Gerhard Scheit (Wien): „Nach Weltuntergang“. Positionen Kritischer Theorie nach Auschwitz
- Christine Kirchhoff (Berlin): Das Überleben des Traumas. Nachträglichkeit, Subjekt und Geschichte bei Freud
- Christina Pareigis (Berlin): Witz als Strategie zum Überleben. Über die Zusammenhänge von Humor und jüdischer religiöser Überlieferung
Freitag, 6. Februar 2009, 10.00-13.00
II. Zeugenschaften
- Christoph Hesse (Berlin): Zeugenschaft der Toten. Über einen Bericht der Nichtüberlebenden von Claude Lanzmann
- Fabian Kettner (Köln): Empathie und Erfahrung. Zur Kontroverse zwischen Bettelheim und Des Pres über die Überlebenden des Lagers
- Franziska Thun-Hohenstein (Berlin): Das Überleben schreiben. Varlam Šalamow, Jorge Semprun, Alexander Solženicyn
Freitag, 6. Februar 2009, 15.00-19.00
III. Kulturen des Überlebens
- Thomas Macho (Berlin): Der Macbeth-Komplex. Die Sucht des Überlebens
- Erik Porath (Berlin): Überlebende und Überlebte. Zwischen Unsterblichkeitswunsch und Vergänglichkeit bei Freud und Canetti
- Philipp Sarasin (Zürich): Der Tod als Diskontinuität. Foucault liest Darwin
- Ulrike Vedder (Berlin): Testamentarisches Schreiben: Souveränität und Nachleben
Samstag, 7. Februar 2009, 10.00-18.00
IV. Überlebensformen
- Eva Geulen (Bonn): Biopolitik und Überleben bei Giorgio Agamben
- Detlev Schöttker (Dresden): Heiterkeit und Überlebenswille. Von Nietzsche zu Jünger
- Andreas Hiepko (Berlin): Posthistorische Existenzen. Überlebensformen bei Kojève und Agamben
- Rüdiger Zill (Potsdam): Distanznahmen. Figuren des Überlebens bei Hans Blumenberg
- Lisa Regazzoni (Frankfurt a.M.): Überleben in der Rezeption - Untergehen in der Geschichte. Reflexionen über Hans Blumenberg und Primo Levi
- Christoph Wulf (Berlin): Frieden, kulturelle Diversität und Nachhaltigkeit als Überlebensbedingungen der Menschheit