Zum Nachleben der Religion(en) in der Kultur. Eine kulturwissenschaftliche Tagung
Program
Der Schock des 11. September hat zu einer neuen Aufmerksamkeit für religiöse Phänomene und deren Wirkungen für Kultur und Politik geführt. Dabei ist deutlich geworden, daß das Selbstverständnis des modernen Europa als säkularer Kultur auf einer Täuschung beruht. Einer der Gründe dafür ist in einem mechanischen Säkularisierungsbegriff zu suchen, in dem ‚Verweltlichung’ mit ‚Entchristianisierung’ gleichgesetzt wird und in der Vorstellung einer modernen Gesellschaft mit verfassungsmäßig garantiertem Recht freier Religionsausübung als bloßer Privatangelegenheit mündet. Mehr und mehr verbreitet sich dagegen die Einsicht, wie sehr die weltpolitischen Konflikte durch eine religiöse Symbolik konfiguriert werden und wie stark auch die westeuropäische Kultur durch religiöse Deutungsmuster geprägt ist. Haben sich die westeuropäischen kulturwissenchaftlichen Recherchen vor einem Jahrhundert vor allem aus einem Dialog zwischen ‚Athen und Jerusalem‘ entwickelt, so ist das Gespräch heute vielstimmiger geworden, da auch andere Religionskulturen auf die Bühne getreten sind, insbesondere aus der islamischen Tradition und der Ostkirche. Die Tagung ist darum bemüht, die Diskussion der aktuellen Probleme mit einer historischen Untersuchungsperspektive zu verknüpfen und unterschiedliche Religionskulturen einzubeziehen.
Ihr Titel geht auf Aby Warburg und seine Theorie des Nachlebens der paganen Antike in der christlichen Renaissance zurück, die die kulturwissenschaftliche Methode selbst veränderte. Eine Befragung der Transformationen kultischer, sakraler oder religiöser Figuren in der Moderne kann nämlich nicht einfach an die kulturwissenschaftliche Neuorientierung der Geisteswissenschaften anschließen, um deren anfängliche Religionsvergessenheit aufzuheben. Sie muß die Entstehung der Kulturwissenschaften selbst als Konstellation in der Geschichte der Säkularisierung reflektieren, insofern in ihrem Umgang mit der Tradition das Verhältnis von Religion und Wissenschaft auf eine spezifisch „moderne“ Weise reorganisiert worden ist. Es gilt also auch, den erkenntnistheoretischen Gewinn zu erörtern, den die Intervention religionsgeschichtlicher Fragen in die Kulturwissenschaften erbringt.
Programm
Donnerstag, 14. Oktober
14.30 Sigrid Weigel (ZfL): Begrüßung
Martin Treml (ZfL): Einführung
I. Kritik der Gewalt/ Politische Theologie
(Moderation: Martin Treml)
15.30 Amnon Raz-Krakotzkin (Universität Beer-Sheva/Israel)
Zionism as Political Theology
17.00 Samuel Weber (Northwestern University/USA)
Das Prinzip der Repräsentation bei Carl Schmitt:
„Römischer Katholizismus und Politische Form“
Sigrid Weigel (ZfL)
Zur Kritik der Gewalt: Carl Schmitt, Walter Benjamin,
Hannah Arendt und Giorgio Agamben
20.00 Abendvortrag
Stéphane Mosès (Hebräische Universität Jerusalem/Israel)
Heilige Kriege und sakrale Revolutionen.
Zur heutigen Dialektik der politischen Gewalt
Freitag, 15. Oktober
II. Die Bedeutung der Religion für den intellektuellen Diskurs der Moderne
(Moderation: Daniel Weidner)
11.00 Eckart Goebel (ZfL)
Verzerrung und Balance. Zur Phänomenologie des 'Dämonischen'
Raphael Gross (Leo Baeck Institute London)
Beiträge von Theologen zur Ethik des Nationalsozialismus
14.30 (Moderation: Karlheinz Barck)
Ashraf Noor (Franz Rosenzweig Zentrum Jerusalem/Israel)
Fragilitas: Religiöse Erfahrung und die Frage der Grenze bei Bataille und Kojève
Rodolphe Gasché (State University of New York Buffalo/USA)
Heidegger’s Interpretation of Antigone and the Question of Europe
III. Zur Dialektik der Säkularisierung
(Moderation: Sigrid Weigel)
17.00 Thomas Meyer (Franz Rosenzweig Zentrum Jerusalem/Israel)
Ethik und Kultur statt Religion und Glaube.
Zu einem Transformationsgeschehen 1900-1930
Daniel Weidner (ZfL)
Erzählung und Entzauberung: Über die Rhetorik der Säkularisierung
20.00 Abendvortrag
Michael Stolleis (MPI Rechtsgeschichte Frankfurt/M.)
Zur Säkularisierung des Auges Gottes
Samstag, 16. Oktober
IV. Kult und Kultur: Topographien religiöser Traditionen
9.30 (Moderation: Franziska Thun-Hohenstein)
Ekatarina Degot (Moskau)
Sakralisierungspraktiken im Moskauer Konzeptualismus
Sylvia Sasse (ZfL)
“Das Moment des Anderen”.
Bachtins Herleitung des Dialogischen aus der Beichte
12.00 (Moderation: Daniel Weidner)
David Katz (Universität Tel Aviv/Israel)
Supernatural Shadows. The Occult Tradition in Victorian England
14.30 (Moderation: Martin Treml)
Thomas Macho (Humboldt Universität Berlin)
Theorien des Opfers um 1900
Renate Schlesier (Freie Universität Berlin)
Antike Tragödie
17.00 Thomas Frank (ZfL)
Zur Figur des christlichen Märtyrers
Angelika Neuwirth (Freie Universität Berlin)
Hebräische Bibel und arabische Dichtung: Mahmud Darwish
19.00 Finissage