18.01.2021

Neues DFG-Projekt: Moritz Neuffer erforscht das persönliche Archiv von Hildegard Brenner

Der Historiker Moritz Neuffer hat mit der »Erforschung des persönlichen Archivs der Germanistin, Publizistin und Kulturhistorikerin Hildegard Brenner« begonnen. Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und widmet sich der Erforschung des Vorlasses der Germanistin Hildegard Brenner (*1927), die mit ihren publizistischen Aktivitäten die literatur- und kulturtheoretischen Debatten der 1960er und 1970er Jahre entscheidend mitprägte. Neuffer untersucht den 2019 dem ZfL übergebenen persönlichen Vorlass Brenners mit dem Ziel, eine multiperspektivische intellektuelle Biografie zu erarbeiten, die wissenschaftliche, publizistische und journalistische Praktiken als Dreh- und Angelpunkte für theorie-, medien- und geschlechtergeschichtliche Problemstellungen begreift.

Brenner, die zunächst als Sachbuchautorin und Journalistin, später auch als Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Bremen tätig war, gab von 1964 bis 1982 die Zeitschrift alternative heraus, die mit Beiträgen zur materialistischen Ästhetik und zum französischen Strukturalismus, aber auch zur Literatur der DDR, des Exils und der Arbeiterbewegung bekannt wurde. Das Redaktionsarchiv der Zeitschrift befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach.

Neben eigenen theoretischen und historischen Arbeiten zu Hölderlin, Benjamin, Brecht und zur Kunstpolitik des Nationalsozialismus verantwortete Brenner die Buchreihe collection alternative im Luchterhand-Verlag und gab die einzige deutschsprachige Publikation von Texten der lettischen Theaterschauspielerin und Regisseurin Asja Lācis (1891–1979) heraus, mit der sie in regem Kontakt stand. Anhand des Vorlasses können die weitreichenden Netzwerke rekonstruiert werden, aus denen Brenner schöpfte: Korrespondenzen mit Étienne Balibar, Roland Barthes, Wolf Biermann, Volker Braun, Lucien Goldmann, Julia Kristeva, Claude Lévi-Strauss, Pierre Macherey, Heiner Müller oder Helene Weigel finden sich darin ebenso wie Briefwechsel mit zahlreichen Verlagen, Zeitschriften und nicht zuletzt Rundfunkanstalten, für die Brenner Radiosendungen mit geisteswissenschaftlichen Inhalten produzierte.

Journalistische und publizistische Arbeit vermittelt zwischen akademischen, massenmedialen und politischen Kontexten, entgeht aber häufig der Aufmerksamkeit intellektueller Historiografien. Die Vielfalt der Veröffentlichungskontexte Brenners erlaubt es zum einen, der Frage nach der Bedeutung nichtkanonisierter Schreib- und Publikationsweisen in der Theoriegeschichte nachzugehen und so einem Forschungsdesiderat zu begegnen. Zum anderen bieten sowohl Brenners Werdegang als auch die Gegenstände ihres Interesses die Möglichkeit, einen Beitrag zur Geschichte und historiografischen Repräsentation weiblicher Intellektueller im 20. Jahrhundert zu liefern.

 

Moritz Neuffer studierte Geschichte, Germanistik und Kulturwissenschaft an den Universitäten Hamburg, Paris VII und der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2017 bis 2019 war er mit dem Promotionsprojekt »Die journalistische Form der Theorie. Die Zeitschrift alternative (1958–1982)« Stipendiat am ZfL, seine Dissertation wurde 2020 vom Institut für Kulturwissenschaft der HU Berlin angenommen, wo er von 2014 bis 2016 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. 2012/13 arbeitete er im Projekt zur Erforschung des Nachlasses von Reinhart Koselleck am Deutschen Literaturarchiv Marbach mit. Er ist Mitglied des »Arbeitskreises Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung«.

 

siehe auch:

Prekäre Theorie, oder: Wer ist Hildegard Brenner?, in: ZfL Blog. Blog des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, Berlin vom 14.01.2021

Zur Projektwebseite:

https://www.zfl-berlin.org/projekt/erforschung-hildegard-brenner-archiv.html

Abb. oben: Vorlass Hildegard Brenner, © Dirk Naguschewski/ZfL