ZfL INFO 21/2022: Call for Papers: Algorithmizität als Kultur des Verstehens? Digitale Erkenntnisprozesse in den Humanities
Algorithmizität als Kultur des Verstehens? Digitale Erkenntnisprozesse in den Humanities
10.6.2022, Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL)
In den Digital Humanities werden tradierte Strukturen der Wissensproduktion auf der Basis computergestützter Verfahren neu verhandelt. Neben Reflexionen über Medialität und Sozialität geisteswissenschaftlicher Erkenntnisprozesse werden vermeintlich dichotomische Setzungen wie analog/digital, qualitativ/quantitativ sowie kontinuierlich/diskret auf den Prüfstand gestellt. Im Zuge dessen rückt nicht nur die Frage in den Vordergrund, wie disziplinspezifische Kulturen des Verstehens ins Verhältnis zueinander gebracht werden können. Vielmehr werden auch etablierte geisteswissenschaftliche Methoden und Praktiken unter dem digitalen Paradigma reformuliert.
Die von der DHd-AG Digital Humanities Theorie organisierte hybride Tagung »Algorithmizität als Kultur des Verstehens?« widmet sich daher der algorithmischen Verfasstheit von geisteswissenschaftlichen Erkenntnisprozessen. Einen ersten Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass sich in traditionellen und aktuellen Forschungspraktiken der Geisteswissenschaften latente Formen der Algorithmizität wiederfinden lassen. Darunter sind nicht nur digitale Formen geisteswissenschaftlichen Arbeitens im Sinne einer prozessual aufgefassten Algorithmisierung zu verstehen. Vielmehr bezeichnet Algorithmizität den jeweiligen Formalisierungsgrad von Handlungsanweisungen, der sich in geisteswissenschaftlichen Methoden sui generis manifestiert. Mögliche Beispiele sind die Konzeption von Rede und Gegenrede in den platonischen Dialogen, das dialektische Format der mittelalterlichen Quaestio, die methodologischen Überlegungen der frühneuzeitlichen Wissenschaftsphilosophie, die phänomenologische Reduktion oder schließlich die Hermeneutik als verbindendes Element der Geisteswissenschaften.
Vor diesem Hintergrund nimmt die Tagung nun Algorithmizität als ein graduelles Phänomen in den Blick. So können latente und explizite Formen der Algorithmizität unterschieden werden, die einerseits von Prozessen der Quantifizierung und Diskretisierung bis zu maschinenlesbaren Handlungsabläufen reichen. Andererseits werden auch disziplinspezifische Umgangsformen mit Algorithmizität sichtbar. Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte beispielsweise nimmt auf verschiedene Weise Bezug auf Methoden der empirischen Sozialforschung oder historischen Demographie, um ihre Interpretationen zu stützen. Es handelt sich neben statistischen Datenerhebungen auch um Auswertungen narrativer Texte. Algorithmizität kann daher nicht nur als impliziter Teil von etablierten Kulturen des Verstehens, sondern selbst als Kulturtechnik des Verstehens begriffen werden.
Ziel der Tagung ist zum einen die Sichtbarmachung und Diskussion von angewandten Algorithmen oder regelgeleiteten Methodensettings. Zum anderen verspricht die Tagung, disziplinäre Unterschiede zwischen geisteswissenschaftlicher und informatischer Wissensproduktion zu benennen. Konzeptionell umfasst sie diverse Vortrags- und Diskussionsformate, um die Bedingungen einer Präsentation von Algorithmen in den Geisteswissenschaften zu reflektieren. Neben Kurzvorträgen werden digital und in Präsenz weitere dialogische Formate erprobt. Die Keynote wird von der Philosophin Prof. Dr. Gabriele Gramelsberger (RWTH Aachen) gehalten.
Organisationsteam: Manuel Burghardt (Universität Leipzig), Jonathan D. Geiger (Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz), Jan Horstmann (Universität Münster), Rabea Kleymann (Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung), Jascha Schmitz (Humboldt-Universität zu Berlin) und Silke Schwandt (Universität Bielefeld)
Die Tagung findet am Freitag, dem 10. Juni 2022, am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin statt. Geplant ist ein kombiniertes Format von Livestream und Präsenzveranstaltung (nach den geltenden Hygieneregeln).
Bitte schicken Sie uns bei Interesse an einem 10-minütigen Kurzvortrag zum Thema der Tagung einen kurzen Beschreibungstext (ca. 250 Wörter) mit Vortragstitel sowie Angaben zur eigenen Person bis zum 15. April 2022 an folgende E-Mail-Adressen: Jonathan D. Geiger jonathan.geiger@adwmainz.de und Rabea Kleymann kleymann@zfl-berlin.org.