»A Torpedo Moving through Time«. Diagrammpraktik und Sammlungspolitik des Museum of Modern Art New York
Der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Alfred H. Barr, Jr. teilte sein Konzept einer idealen Sammlung moderner Kunst dem Vorstand des Museum of Modern Art 1933 vertraulich in einem Bericht mit. Barr schrieb »The Permanent Collection may be thought of graphically as a torpedo moving through time [...]« und zeichnete daraufhin ein Diagramm. Die Dissertation nimmt Barrs sammlungs- und museumstheoretischen Texte und dessen grafische Praktiken zum Ausgangspunkt. Sie widmet sich den Plänen, mit denen die zukünftige Sammlung des Museum of Modern Art entworfen worden war. Den zeitlichen Rahmen bilden das Jahr 1929, als das Museum als Institution für die Kunst der Gegenwart von drei Philanthropinnen gegründet worden war, sowie das Jahr 1958, als Barr erstmals in einer Dauerausstellung der museumseigenen Sammlung eine Kunstgeschichte der Moderne öffentlich präsentierte.
Den ersten von drei Fluchtpunkten der Dissertation bildet die Ikonologie der submarinen Bilder in Barrs Sammlungskonzept. Wie kann die sprachliche Analogie von modernem Museum und Torpedogeschoss gedeutet werden? Wie ist demgegenüber die Sichtbarmachung von Barrs Genealogie der Moderne in meeresbiologischen diagrammatischen Formen zu interpretieren? In dem Zusammenhang wird auch die in den Archivquellen dokumentierte museale Lebendigkeitsrhetorik und der Einsatz thematischer Netzdarstellungen oder graphischer Formen des Fluiden einbezogen.
Es gehört zu den bekannten Anekdoten in Barrs Biographik, dass die Sammlerin und Autorin Gertrude Stein sein Vorhaben mit den Worten kommentierte: »You can be a museum, or you can be modern, but you can't be both.« Die Frage, wie die Theorie und Praxis einer zeitgenössischen Kunstsammlung am Museum of Modern Art den von Stein angemerkten Widerspruch aufzulösen suchte, bildet den zweiten Fluchtpunkt der Dissertation. In dem Zusammenhang wird auch diskutiert, wie das begriffliche Potential von »Moderne« in Barrs diagrammatischen Zeichnungen und Praktiken der Kunstgeschichtsschreibung am Museum beschrieben werden können.
Während heute eher vom »mission statement« oder Leitbild des Museums die Rede wäre, bezeichnete Barr sein Konzept 1933 als »strategy«. Spätestens seit den 1960er Jahren wurde der Begriff der Strategie politikwissenschaftlich und wirtschaftstheoretisch neu gefasst, längst wird er auch auf Künstler oder Bilder angewendet. Den dritten Fluchtpunkt der Dissertation bildet daher Barrs Übertragung des aus der Kriegsführung stammenden Begriffes in den Kontext des Kunstmuseums. Mit Blick auf die militanten Figurationen in den institutionell produzierten Texten und Bildern wird am Beispiel der Anfangsgeschichte des Museum of Modern Art die Durchdringung von Kunst und Militär, Bild und Ökonomie erörtert. Vor dem Hintergrund kann die Dissertation auch als ein Beitrag zur jüngeren Diskussion der Effektivität und Pragmatik von Bildern gelesen werden. Basierend auf Recherchen in Archiven, Museen und Bibliotheken in den USA und in Deutschland fließen in die kunst- und bildhistorische Dissertation Ansätze der interdisziplinären Diagrammatik, der »New Museology« und der Wissenschaftsgeschichte ein.