Interdiskursive Revisionen des ästhetischen Wissens im Licht des Verhältnisses von Geistes- und Naturwissenschaften: Fokus 19. Jahrhundert

Forschungsgegenstand des Projekts war das ästhetische Wissen in der Mehrzahl seiner praktischen und theoretischen Formen. Die Analyse galt einem Wissensfeld, in dem Natur- und Geisteswissenschaften im doppelten Wortsinn von Kampf und Verbindung »aufeinandertreffen«. Der zeitliche Fokus war das 19. Jahrhundert – eher zum Ende als zum Anfang hin; damit stand dieses Projekt in sachlicher Verbindung mit jenen Forschungen am ZfL, die den Konstellationen in der Trennungsgeschichte von Natur- und Geisteswissenschaften um 1900 nachgehen.

Das Projekt gliederte sich in drei Teile, die an ihre spezifischen Untersuchungsgegenstände die gemeinsame Frage richteten, auf welche Weise die heterogenen Diskurspartikel, Theoreme und Methoden im Raum des ästhetischen Wissens interagieren. Gemeinsam orientierten sich die Projekt-Teile an der begründeten Vermutung, dass das ästhetische Wissen die bis 1900 vollzogene Ausdifferenzierung der Disziplinen konterkariert oder anders »rastert«.

Im ersten Teil befasste sich das Projekt mit den Überkreuzungen von Metaphysik und Naturwissenschaft innerhalb der bildkünstlerischen Reflexion zwischen 1750 und 1900; ihnen wurde mit Blick auf das konfliktuöse und kooperative Verhältnis von Ideal und Empirie, von tradierten kunsttheoretischen Prädispositionen und modernen szientifischen (statistischen, induktiven, experimentellen, messenden usw.) Verfahren nachgeforscht.

Der zweite Teil untersuchte die empirische und experimentelle Ästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die als ein disziplinärer Zwischen-Raum angesehen wird. Um die (verborgene) Interaktion von Normen und Wertungen schönheitsmetaphysischer Provenienz mit den Verfahren und Erkenntnissen der physio-psychologischen »Leitwissenschaften« aufzuzeigen, wurde die wirkungsästhetische Wendung der Ästhetik »von unten« auf die Wahrnehmung des Rezipienten analysiert.

Der dritte Teil thematisierte das Zusammentreffen des medizinisch-neuropathologischen Diskurses mit tradierten ästhetischen Vorgaben im Bereich der französischen Literatur- und Kunstkritik. Dargestellt wurden die »Naturalisierung« der Kunstkritik in der critique scientifique (H. Taine) und der psychologisch-physiologische Zugriff auf den Autor sowie die damit verbundene psychopathologische Transformation des Geniediskurses. Unter Einbeziehung spanischer Zeitschriften wurde die Untersuchung durch die Analyse des Wandels von kunstkritischen Wertungsbegriffen ergänzt, deren politische und soziale Intentionen mit naturwissenschaftlich determinierten Wertkriterien (z.B. des Normalitäts- und Dekadenzdiskurses) konfligieren.

gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2001–2005
Leitung: Hilmar Frank, Marie Guthmüller, Wolfgang Klein, Waltraud Naumann-Beyer

Publikationen

Marie Guthmüller

Der Kampf um den Autor
Abgrenzungen und Interaktionen zwischen französischer Literaturkritik und Psychophysiologie 1858–1910

A. Francke Verlag, Tübingen/Basel 2007, 417 Seiten
ISBN 978-3-7720-8219-1
Marie Guthmüller, Wolfgang Klein (Hg.)

Ästhetik von unten
Empirie und ästhetisches Wissen

A. Francke Verlag, Tübingen/Basel 2006, 458 Seiten
ISBN 3-7720-8121-5
Hilmar Frank

Aussichten ins Unermeßliche
Perspektivität und Sinnoffenheit bei Caspar David Friedrich

LiteraturForschung-Buchreihe
Akademie Verlag, Berlin 2004, 245 Seiten
ISBN 978-3-05-003689-2
Waltraud Naumann-Beyer

Anatomie der Sinne im Spiegel von Philosophie, Ästhetik, Literatur

Böhlau Verlag, Köln, Weimar u. Wien 2003, 378 Seiten
ISBN 978-3-412-09903-1

Hilmar Frank

  • Noch mehr als Natur? Zu LawickMüllers »perfectly SUPERnatural«, in: Trajekte 6 (2003), 14–17
  • Gestalt, Bewegung, Leben. Zur geognostischen Landschaftsmalerei. Hamburger Kunsthalle, Januar 2003 (Vortrag)