Hans Blumenbergs Variationen auf das Ende der Theorie
Unterschreibt man die Diagnose vom »Ende der Theorie«, handelt man sich zwei Schwierigkeiten ein. Erstens: Wenn die Theorie am Ende ist, dann gibt es auch keine Theorie mehr, welche einem dieses Ende begreiflich machen könnte. Zweitens: Bestand nicht ein maßgeblicher Teil jener Großtheorien, die nun passé scheinen, immer schon darin, bestimmte Enden zu verkünden (vom Tod des Subjekts bis hin zum Ende der Geschichte), inklusive des Endes der Theorie selbst? Das »Ende der Theorie« scheint demnach gleichermaßen theoretisch unzugänglich zu sein wie ein gängiger Modus ihrer Fortsetzung. Eine produktive Umgangsweise mit derlei Verlegenheiten findet sich in den Schriften Hans Blumenbergs. Die These: Seine Schriften kennzeichnen sich durch eine eigentümliche Melange aus Abschied von der Theorie und Solidarität mit der Theorie. Ein gewisser Abschied von der Theorie lässt sich beobachten, wenn er von dem noch in der Legitimation der Neuzeit (1966) angestrengten Versuch abrückt, Geschichte als eine Geistesgeschichte zu erzählen. Irgendwann unternimmt er zwar nämlich immer noch einen Ritt über die Höhenkämme der Geistesgeschichte, jedoch nicht mehr, um die Verwandlung fundamentaler Gedankensysteme in den Blick zu nehmen, sondern die zumindest auf den ersten Blick minimalen Abweichungen bei der Rezeption ein und derselben Anekdote. Diesem Abschied von der Theorie korrespondiert jedoch eine ungebrochene Solidarität mit der Theorie: Wenn sich Blumenberg nämlich bestimmten Metaphern, Bildern und Anekdoten zuwendet, dann niemals, um Theorie hinter sich zu lassen, sondern um sich Klarheit zu verschaffen über die Reichweite, die Leistungsfähigkeit, das Interesse an und die Legitimität von Theorie. So wird etwa im Lachen der Thrakerin (1987) über Thales, der während seiner Himmelsbeobachtungen in einen Brunnen fällt, die mutmaßliche Blindheit der Theorie verhandelt. Mit dem Lukrez-Bild vom Schiffbruch mit Zuschauer (1979) steht die Frivolität des Theoretikers infrage, der sein Unbeteiligtsein an dem genießt, was Gegenstand der Theorie ist. In den Höhlenausgängen (1989) wird dem Verdacht nachgegangen, dass die Höhle, deren Ausgang Theorie weisen möchte, von ihr erst einmal fabriziert wurde: Wird man durch das Versprechen eines radikalen Ausstiegs zum Einstieg ins Theoretisieren verführt?