Metaanthropologie. Zur Geschichte der Ethnografie im 20. Jahrhundert
In den 1980er Jahren wurden in der von der US-amerikanischen Sozial- und Kulturanthropologie geprägten Writing-Culture-Debatte verstärkt texttheoretische Ansätze rezipiert. Überlegungen zu den epistemologischen Voraussetzungen anthropologischen Wissens sind seitdem von der Frage ethnografischer Repräsentation nicht mehr zu trennen. Weitgehend unberücksichtigt blieb dabei bislang, in welch erheblichem Maße die Debatten um ethnografische Repräsentation von der Geschichtstheorie beeinflusst waren. So fanden bereits in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts erbitterte Auseinandersetzungen über den Stellenwert der Sprache und insbesondere des Erzählens statt, die durch die Rezeption von Hayden Whites Metahistory (1972) Eingang in die Diskussionen in der Anthropologie fanden.
Das Dissertationsprojekt arbeitet zunächst diesen theoriegeschichtlichen Zusammenhang zwischen Geschichts- und Ethnografietheorie auf, um dann nach seinen Implikationen zu fragen: Denn obwohl die Akteur*innen der Writing-Culture-Debatte Hayden White breit rezipierten und auf geschichtstheoretische Theoreme zurückgriffen, gibt es bislang keine vergleichbare systematische Darstellung ethnografischer Repräsentation im 20. Jahrhundert. Das Projekt entwirft unter Rückgriff auf die historische Repräsentationskritik, Whites Geschichtstheorie und Stephen C. Peppers World Hypothesis (1942) eine entsprechende Systematik. Dabei kann gezeigt werden, wie die Arbeit des heute weitgehend vergessenen Pepper die systematische Grundlage für Whites Analysen lieferte.
Mit Blick auf die gegenwärtigen Rufe nach einer Dekolonialisierung der anglophonen Sozial- und Kulturanthropologie im Angesicht von Black Lives Matter, Standing Rock und der anhaltenden Fluchtmigration aus Mittelamerika werden darüber hinaus Techniken der ethnografischen Umkehrung untersucht. Gemeint sind damit, im Anschluss an den Berliner Ethnologen Fritz Kramer, die kritische Rezeption von Ethnografie durch indigene Akteur*innen ebenso wie Schreibweisen, mit denen die Autor*innen von Ethnografien selbst versuchen, ihr Wissen mit dem Wissen der von ihnen ethnografierten Menschen ins Verhältnis zu setzen.
Abb. oben:
Vergleichsschablonen zur Bestimmung der menschlichen Augenfarbe, Quelle: John George Garson, Charles Hercules Read: Notes and Queries on Anthropology. Third Edition. Edited for the British Association for the Advancement of Science, London: The Anthropological Insitute 1899, 17
Veranstaltungen
Andreas Lipowsky: ›Writing against Culture‹. Ethnografie als Manifesto bei Lila Abu-Lughod
Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, Raum JK 31/121, 14195 Berlin
Andreas Lipowsky: »To the ethnographer, the bow and arrow is a species«. The legacy of natural history in late Victorian anthropology
Faculty of Arts, Masaryk University, Arne Novaka 1, 60200 Brno
Andreas Lipowsky: Plunges into the lives of the natives. Hidden Continuities of a body-centric anthropology
Jagiellonen-Universität Kraków