Popularisierung literaturgeschichtlichen Wissens 1850–1930
Die Popularisierungsforschung hat sich bisher vor allem auf Naturwissenschaften konzentriert. Die Literaturwissenschaft hat sich solche Fragen bisher kaum gestellt, obwohl die Popularisierung literaturgeschichtlichen Wissens dessen Anschluß an öffentliche Diskurse steuert, es selektiert, das wissenschaftliche Wissen auf diese Weise also immer auch (mit-)produziert, und obwohl der Bereich der sozialen Umwelt einer Disziplin in der Wissenschaftstheorie inzwischen als einer der wichtigsten Faktoren für die Geschichte der Wissensproduktion thematisiert wird.
Über die Analyse des in ausgewählten Zeitschriften popularisierten literaturgeschichtlichen Wissens wurde in den bislang unterbestimmten Bereich der kulturellen, ästhetisch-publizistisch adressierten Öffentlichkeit für den Zeitraum zwischen 1850 und 1930 ein größeres Maß an material- und quellengestützter Bestimmtheit eingetragen. Zeitschriftengründungen erfolgten auf der Grundlage neuer, marktökonomischer Analysen der Erwartungen, Wissens- und Unterhaltungsbedürfnisse eines sich seit 1860 mit der »Kommunikationsrevolution« immer stärker ausdifferenzierenden Publikums. Die untersuchten Zeitschriften hatten im Moment der Gründung einen bestimmten Abnehmerkreis im Blick, und daraus, dass sie über etliche Jahrzehnte hinweg erschienen sind, ist zu schließen, dass sie ihr jeweiliges Publikum, dessen Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse über lange Zeit ›richtig‹ beurteilt haben und darin auch in der Konkurrenz mit anderen Zeitschriften erfolgreich sein konnten. Im Anschluss an neuere Forschungen, in denen Popularisierung auf Ursachen und Folgen sozialen Wandels bezogen wird, konnten mit einer themengebundene Analyse solcher Zeitschriften Aussagen über den Wandel der Öffentlichkeit getroffen werden, sofern ihr Publikum seine kulturellen Leitbilder, Weltanschauungen, Normen und Werte aus der Literaturgeschichte bezog.
Die Analyse trug schließlich auch zu einer Schärfung des Begriffs ›Popularisierung‹ bei, der von einem ungenauen Kommunikationsbegriff abgegrenzt wurde, der die Ebenen wissenschaftsinterner und popularisierender Kommunikation nicht heuristisch unterscheidet. Im Unterschied zu geläufigen Zuschreibungen wurde Popularisierung nicht als hierarchischer Wissenstransfer, nicht als Trivialisierung wissenschaftlichen Wissens, als Manipulation oder Einflußnahme aufgefasst, sondern als Form der Wissensproduktion, an der die Adressaten mit ihren verschiedenen Bedürfnissen, Voraussetzungen und Erwartungen mitschreiben. Sie wurde als eine Wissensproduktion untersucht, die in Konkurrenz mit bzw. in Abgrenzung von anderen – vor allem universitären Produktionsweisen – entsteht, die der Konkurrenz der Medien unter den Bedingungen des seit 1860/70 expandierenden Zeitschriftenwesens und der im frühen 20. Jahrhundert aufkommenden audiovisuellen Medien ausgesetzt ist und die darüber hinaus im gesamten Zeitraum mit den popularisierenden Naturwissenschaften um Weltbildkompetenz konkurriert.
Ausgehend von der Vielfalt der Kontexte, in denen Wissenschaft produziert wird und ausgehend davon, dass die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder von Popularisatoren das literaturgeschichtliche Wissen und seine Adressatenkreise formieren und auch die Modi der Verbreitung des Wissens regeln, richtete sich das leitende Interesse auf das jeweilige Verhältnis von Expertenwissen und Laienwissen und zwar zum einen im Hinblick auf das adressierte Publikum und seinen Wandel, zum anderen im Hinblick auf das jeweilige Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, also die Interferenzen zwischen populärem und wissenschaftlichen Wissen. Damit erprobte das Projekt Möglichkeiten, die Wissenschaftsgeschichte der Literaturwissenschaft mit Theorien der internationalen, an die Geschichte der Naturwissenschaften angelegten Wissenschaftsforschung zu verknüpfen und die Wissenschaftsgeschichtsschreibung stärker an den Bereich einer sich ausdifferenzierenden Öffentlichkeit zurückzubinden.