Foto von Karl Kraus. Er sitzt in Anzug und Brille am Tisch und sieht in die Kamera. Auf dem Tisch liegt ein aufgeklapptes Buch und ein zugeklapptes Heft daneben. Einen Ellbogen stützt Kraus auf den Tisch, die Hand an der Schläfe.

Sprachkritik als Moralkritik. Das unbeanspruchte Erbe Karl Kraus’

Sprachkritik bildet die Grundlage des Werkes von Karl Kraus und seiner Kritik der Wiener Gesellschaft des Fin de siècle, ihres Rechtssystems und ihrer Presse. Für Kraus sind Sprache und Moral untrennbar verbunden: »Wäre denn eine stärkere Sicherung im Moralischen vorstellbar als der sprachliche Zweifel?«

Dem Projekt lag die These zugrunde, dass die Verbindung von Sprachkritik und Moral der Schlüssel zu einem sinnvollen Verständnis des gesamten Kraus’schen Projekts ist. Folgt man dieser These, bietet sich eine Alternative zum gängigen Bild des Autors als scharfsinniger Satiriker einerseits und als konservativer Liberaler oder bloßer Provokateur andererseits. Eine derart aktualisierte Lesart von Kraus erlaubt ein tieferes Verständnis seines Einflusses auf Autoren wie Wittgenstein, Adorno, Benjamin, Brecht oder etwa auch Kafka – ein Einfluss, der von der Literaturwissenschaft allzu oft als anekdotisch oder bloß stilistisch abgetan wird.

Genannte Denker werden üblicherweise als anti-moralisch, moralskeptisch, oder als Befürworter einer durchweg negativen Kritik dargestellt, die nur zerstört und keinen Ausweg aufzeigen kann. Eine neue Untersuchung dieser Autoren musste jedoch unter Rücksichtnahme auf den sprachlichen Charakter der Moral erfolgen. Diese Zusammenführung von Sprachkritik und Moralkritik eröffnete so eine Alternative zum liberalen und auf die Menschenrechte zentrierten Moral-Diskurs, mit dem Ziel der Fruchtbarmachung einer »Negativen Moralphilosophie« (Adorno), um zum »Productivgehalt kritischer Zerstörerarbeit« (Kraus) durchzudringen.

 

Abb. oben: Porträt des Karl Kraus. Foto wiedergegeben in einem Lichtdruck (Ausschnitt). Foto: Charlotte Joel. Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv Austria, Inventarnummer Pf 7289:C (2) via Wikimedia

ÖNB, Bildarchiv Austria, Inventarnummer Pf 7289:C (2)

gefördert durch die Minerva Stiftung 2014–2016
Bearbeitung: Gal Hertz

Publikationen

Gal Hertz

  • Liberal Nomos, National Narrative: Karl Kraus’s Critique of Law, in: arcadia 54.2 (2019), 167–195
  • Spiegelmenschen – Karl Kraus und Franz Werfel über Sprache und Identität, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 14 (2015), 449–476
  • Karl Kraus Citationality – Between War Experience and Poetic Language, in: Galili Shahar (Hg.): Texturen des Krieges. Körper, Schrift und der Erste Weltkrieg. Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte Bd. 43. Göttingen: Wallstein 2015, 145–164
  • Die Sprengkraft des Kommentars. Die satirischen Glossen von Karl Kraus (übersetzt von Dirk Naguschewski), in: Trajekte 31 (2015), 39–42

Veranstaltungen

Workshop in der BBAW Berlin
13.10.2016 – 14.10.2016

Klage, Theatralität und Gerechtigkeit. Karl Kraus und die Grundlagen des Rechts

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jägerstr. 22, 10117 Berlin, Raum 230; ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum

Details
Gershom Scholem Today. The Current Significance of His Work (Workshop)
10.02.2016 · 10.00 Uhr

Middat ha-din and middat ha-rahamim in Scholem’s Poetics. Sources and Implications

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Seminarraum 303

Details
Gershom Scholem Today. The Current Significance of His Work (Lecture)
09.02.2016 · 19.00 Uhr

Menachem Lorberbaum (Tel Aviv): To Knowingly Sin. Sabbatianism and Hasidism Revisited

ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum

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