Gemäldeausschnitt, auf dem vor hellem wolkigem Himmel Kopf- und Schulterpartie einer Frauenfigur zu sehen ist, die im hochgereckten rechten Arm eine französische Fahne hält. Neben ihr ragen eine Pistole und eine Muskete in den Himmel.

Krise, Kritik, Regieren: Theorie- und Begriffsgeschichte des Liberalismus

Kann die Theorie- und Begriffsgeschichte des Liberalismus heute über eine bloße Historisierung hinaus zu einer tatsächlichen Analytik der Gegenwart führen? Eine solche Analytik müsste vor allem einsichtig machen können, warum die Gegenwart in liberalen Gesellschaften stets über Krisendebatten verhandelt wird – und wie diese funktionieren. Formal lassen sich Debatten wie etwa die um die Corona-, die Klima- oder jüngst die Energiekrise als strategisches Wechselspiel zwischen Kritik und Regieren beschreiben. Und dass dabei liberale Ideale wie die individuellen Freiheiten von allen Seiten für gegenläufige Zwecke in Anschlag gebracht werden, kann als eigentümliches Indiz dafür gelten, dass sie auch noch universell sind, nachdem das »Ende der Geschichte« vorbei ist. Umso mehr steht deswegen aber zur Frage, ob nicht, wer heute für die Universalität liberaler Ideale eintreten will, im Liberalismus selbst die Möglichkeitsbedingungen für das neuerliche Hervorbrechen des ›Illiberalen‹, also von Autoritarismen und Populismen, analytisch verorten können muss.

Das Projekt ließ Ansätze für eine solche Analytik aus einer Konstellation dreier historiographischer Fragmente zusammentreten, die vergangenen Krisenperioden der europäischen Geschichte entstammen. Es ging erstens von den sich kreuzenden Gedankengängen aus, die Reinhart Koselleck und Michel Foucault in den 1970er Jahren unabhängig voneinander zu einer Beschäftigung mit dem Liberalismus führten. Ihnen folgend, kartierte es dann zweitens die mit den Begriffen ›Krise‹, ›Kritik‹ und ›Regieren‹ verbundene Theorie- und Begriffsgeschichte des Liberalismus in den 1930er Jahren und trat schließlich drittens ins späte 19. Jahrhundert zurück, um nachvollziehen zu können, wie und warum dort die Gegenwartsdiagnose einer »Krise des Liberalismus« selbst entstanden ist.

 

Abb. oben: Eugène Delacroix: La Liberté guidant le peuple 1830 (Ausschnitt).

Carlo-Barck-Preis-Stipendium 2022–2023
Leitung: Georg Simmerl

Publikationen

Georg Simmerl

  • Selbstgewisse Kritik [Rezension zu: Carolin Amlinger/Oliver Nachtwey: Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus. Berlin 2022], in: Soziopolis (14.12.2022)
  • Das andere Ende der Geschichte [Rezension zu: Francis Fukuyama: Der Liberalismus und seine Feinde. Hamburg 2022], in: Süddeutsche Zeitung 247 (26.10.2022), 13

Veranstaltungen

Verleihung des Carlo-Barck-Preises an Georg Simmerl
25.01.2023 · 18.30 Uhr

Georg Simmerl: Die Bundesrepublik im Kaiserreich erkennbar machen – Über den Versuch, eine neue Geschichte der Gründerkrise zu schreiben

Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Aufgang B, 3. Et., Trajekteraum

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