Grenzgänger der Religionskulturen
Kulturwissenschaftliche Beiträge zu Gegenwart und Geschichte der Märtyrer
Mit der Rückkehr der Religionen in Politik und Kultur, auch der säkularisierten Gesellschaften, tritt eine lang vergessene Figur wieder in den Mittelpunkt der Interessen: der Märtyrer. In der Urszene des Christentums angesiedelt, aber durch seinen »edlen Tod« auch in paganen, jüdischen wie islamischen Traditionen beheimatet, erweist sich der öffentlich und blutig Sterbende als religionskultureller Grenzgänger und Hybridfigur. In ihm werden die Pathosformeln (Aby Warburg) der einen Tradition in die benachbarte und oft als feindlich angesehene übersetzt.
Eine ununterbrochene Kette von Leiden und Leidenschaften, von ausgeübter und erlittener Gewalt verbindet die Religionen noch in ihrem Nachleben. Hier werden Opfer zu Helden, Attentäter zu Heiligen, Töchter zu Rebellinnen. Der Märtyrer verkörpert als Revenant die Formensprache der abendländischen Imaginations- und Bildgeschichte seit der Antike in Ost und West und wird in der globalisierten Weltgesellschaft zur Vorlage ästhetischer wie politischer Programme.
Verfügbare Volltexte auf dem Publikationsserver CompaRe:
- Exemplum und Opfer, Blutzeugnis und Schriftzeugnis. Lucretia und Perpetua als Übergangsfiguren in der Kulturgeschichte der Märtyrer
Sigrid Weigel - Jesus als Märtyrer
Jan Willem Van Henten - Kampf, Tod und Zeugnis. Sunnitische Märtyrerfigurationen im Feld der Abgrenzung und Aneignung zwischen den Religionskulturen
Silvia Horsch - Martyrium als interreligiöses Skandalon in jüdischer Literatur der Moderne
Vivian Liska - Körper – Schnitt – Bild. Über Martyriums-Darstellungen auf Kopf- und Büstenreliquiaren oder »den Kopf (nicht) verlieren«
Silke Tammen - Frauenkörper und Stellvertretung. Das Martyrium des weiblichen Interregnums in Andreas Gryphius’ Trauerspiel »Catharina von Georgien« (1657)
Peter-André Alt - Souveränität im Schmerz. Die Tortur des Martyriums
Burkhardt Wolf - »Eure Welt ist für mich wertloser als das Niesen einer Ziege«. Ambivalenzen von Märtyrertum und Weltentsagung in der Zwölferschia
Thomas Scheffler - Pathos und Passion. Antworten arabischer Autoren auf Krieg, Gewalt und Tod
Friederike Pannewick - Die vielen Tode des Sokrates. Zum Schicksal einer Figur der abrahamitischen Religionskulturen
Sasha Dehghani - »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt« – die Assassinen und der Terror
Torben Lohmüller - Gespielte Zeugen. Der Schauspieler-Märtyrer auf dem Barocktheater
Daniel Weidner - Rom. Topographie und Theater der Märtyrer
Martin Treml - Pawlik Morosow – ein sowjetischer »Helden-Pionier«. Zur medialen Konstruktion eines sozialistischen Kindermärtyrers
Franziska Thun-Hohenstein - Märtyrer oder Krieger?. Die Wiedererfindung ›Isaaks‹ als Kriegsheld im jüdischen Palästina
Yael S. Feldman - Säkularisierungsresistent? Märtyrerfigurationen in Brechts »Maßnahme« und Müllers »Mauser«
Kai Bremer