Franziska Thun-Hohenstein: Das Leben schreiben im Angesicht des Todes
Buchvorstellung und Diskussion anlässlich des Tags der Menschenrechte im Lew Kopelew Forum
Knapp 20 Jahre überlebt Warlam Schalamow als politischer Häftling, als Angehöriger der antistalinistischen Opposition, im Archipel Gulag – zunächst von 1929 bis 1931 in Lagerhaft und Verbannung an der Wischera, wohin er als 21-Jähriger gelangt, dann von 1937 bis 1951 im Dauerfrostgebiet von Kolyma im äußersten Nordosten der Sowjetunion. Nach der Entlassung aus dem Gulag muss Schalamow noch zwei Jahre am Fluss Kolyma bleiben, um das Geld für die Rückreise zu erarbeiten. 1956 und nur auf seinen dringenden Antrag hin wird der Überlebende rehabilitiert, und von 1954 bis 1973 schreibt er neben Gedichten die Erzählungen aus Kolyma. Eine Auswahl kursiert nur im Selbstverlag, im Untergrund. Erst Ende der 1980er Jahre können einige Geschichten in der Sowjetunion publiziert werden, eine vollständige Ausgabe der 150 Erzählungen erscheint zehn Jahre später in Russland.
Franziska Thun-Hohenstein erzählt in der ersten umfassenden Biographie fesselnd vom Leben und Werk Schalamows, ohne sie einer einfachen Entwicklungslogik unterzuordnen. So stehen auch hier Widersprüchliches und Fragmentarisches nebeneinander und beleuchten ein einzigartiges und auf brutale Weise von seiner Zeit geschundenes Leben. Die Kraft, seiner Zeit zu widerstehen und einen lebenslangen Kampf um die Wahrung der Eigenständigkeit im Leben wie im Schreiben zu führen, schöpfte Warlam Schalamow sein Leben lang – als Kind, als junger Mann wie nach der Kolyma – aus der Kunst, aus der Dichtung.
Moderation: Maria Birger, Historikerin und LKF-Beirat
Franziska Thun-Hohenstein ist Slawistin, Senior Fellow des ZfL mit dem Projekt Warlam Schalamow. Biographie und Poetik sowie Herausgeberin der Warlam Schalamow-Werkausgabe.