Joseph Wulf: Ein polnisch-jüdischer Historiker in der BRD. Zwischen Zeugenwissen und engagierter Geschichtsschreibung
Workshop des deutsch-französischen Projekts (ANR/DFG) »Frühe Schreibweisen der Shoah. Wissens- und Textpraktiken jüdischer Überlebender in Europa (1942–1965)« (PREMEC), organisiert vom Centre de Recherches Historiques (CRH) der EHESS
Joseph Wulf (1912–1974) wurde in erster Linie durch eine Reihe von voluminösen Dokumentensammlungen zu unterschiedlichen Aspekten der Ermordung der Juden sowie zu Gesellschaft und kulturellem Leben im nationalsozialistischen Deutschland bekannt. Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Texte – von literaturwissenschaftlichen und sprachkritischen Studien bis hin zu Biographien wichtiger NS-Funktionäre. Sein Wirken beschränkte sich aber nicht nur auf die Publikation von wissenschaftlichen und dokumentarischen Texten, sondern umfasste gesellschaftspolitische Projekte, wie etwa das geplante Holocaust-Dokumentationszentrum in der Villa Wannsee.
Der Workshop soll einen Zugang zu Joseph Wulfs vielschichtigem Werk bieten und vor allem ein Ausgangspunkt für neue Interpretationen seiner Arbeiten sein. Welche Überlegungen über den Status und die Perspektive der HistorikerInnen erwachsen aus Joseph Wulfs Werk, vor allem angesichts der Zeugnisse von Überlebenden und ihrer Rolle in der Geschichtsschreibung? Inwieweit erweist sich die disziplinäre Trennung zwischen testimonialen Texten, die als Gegenstand der Literaturwissenschaften behandelt wurden, und wissenschaftlichen Publikationen, die in den Geschichtswissenschaften analysiert wurden, als kulturell bedingte Konstruktion? Wie könnte eine Geschichtsschreibung, die den Perspektiven der Opfer bereits in der Konstitution von Wissen mehr Bedeutung beimisst, eine Alternative zu dieser binären Trennung bieten? Auf welche Weise spiegeln sich diese Fragen in der Wulf’schen Poetik der Geschichtsschreibung etwa in seinem spezifischen Umgang mit dem Genre der Anthologie? Wie lässt sich durch sein Werk der jeweilige Status vom Dokument, vom Zeugnis und vom Archiv neu begreifen?
Der Workshop findet in englischer Sprache statt.
Programm
9.15
Welcoming of the participants
9.30
Aneta Bassa (Polish Academy of Sciences): Welcoming words
9.45
Judith Lindenberg (EHESS), Judith Lyon-Caen (EHESS) and Aurélia Kalisky (ZfL): Introduction
10.15
First Panel: Between Tradition and Rupture
Chair: Audrey Kichelewski (Université de Strasbourg)
- Judith Lindenberg (Centre de Recherches Historiques, EHESS Paris): Joseph Wulf and Yiddish Culture
- Judith Lyon-Caen (Centre de Recherches Historiques, EHESS Paris): Survivor Historians/Emigrant Historians. Wulf, Borwicz and the Parisian ›Centre pour l'étude de l'histoire des Juifs de Pologne‹
- Mark L. Smith (UCLA Leve Center for Jewish Studies): Joseph Wulf. The Path not Taken
12.00
Second Panel: A »Hurbn Historiker« in West-Germany and the Belated Reception of a Pioneer in Holocaust Historiography
Chair: Katrin Stoll (German Historical Institute Warsaw)
- Anja Keith (Hamburg): Joseph Wulf – Ernst Jünger. The Correspondence (1962–1974)
- Gerd Kühling (Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz Berlin): A Missed Chance for Historical Scholarship? Joseph Wulf's Proposal for an International Documentation Centre in Berlin
- Klaus Kempter (Universität Heidelberg): The Lasting Legacy and the Limits of Wulf's Work
15.00
Third Panel: Witness Knowledge(s) and Poetics of History
Chair: Catherine Coquio (University Paris VII)
- Aurélia Kalisky (ZfL): The Mythical vs the Scientific gaze, or has Theory of History the Hiccups? (Wulf, Broszat, Friedländer)
- Barbara Breysach (Selma Stern Zentrum Berlin): Witnessing as a Venture. Joseph Wulf in the Mirror of Literary Reports
- Nicolas Berg (Simon Dubnow Institut Leipzig): The Language of the Perpetrators in epistemological Concepts of the Survivors. The Examples of Joseph Wulf and Raul Hilberg
17.00
Elisabeth Gallas (Simon Dubnow Institut, Leipzig), Katrin Stoll (German Historical Institut, Warsaw): Common Discussion and Concluding Remarks
Bildnachweis: Léon Poliakov (li.), Joseph Wulf (re.), Privatarchiv Ursula Böhne.