Prophetie und Prognostik
Programm
Donnerstag, 25.11.2010
15.00
Sigrid Weigel (ZfL): Begrüßung
Daniel Weidner/Stefan Willer (ZfL): Einführung: Prophetie und Prognostik
SEKTION 1: Prophetie, Prognose, Politik
Moderation: Jörg Thomas Richter (ZfL)
15.30–17.30
Brian Britt (Virginia Tech): Die Zukünfte der biblischen Prophetie
Armin Grunwald (Karlsruher Institut für Technologie): Zur Verfertigung ›wissenschaftlicher‹ Zukünfte für die Politikberatung
18.00 Podiumsdiskussion »Aktualität der Prognostik«
Daniel Weidner im Gespräch mit Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe (Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung), Ulrike Herrmann (die tageszeitung), Thomas Macho (HU Berlin)
Freitag, 26.11.2010
SEKTION 2: Schauplätze des Sprechens
Moderation: Daniel Weidner
10.00–12.00
Robert Stockhammer (LMU München): Das Tier, das vorhersagt. Pro-Sprechakte zwischen Vor- und Ver-Sprechakten
Birgit Griesecke (ZfL): Then you know. Sprachspiele der Pränataldiagnostik
12.30–13.30
Herbert Marks (Indiana University): The Ghost of Samuel, or the Biblical Critique of Prophecy
SEKTION 3: Visionen von Schrecken und Trost
Moderation: Jörg Thomas Richter
15.00–17.00
Bernd Mahr (TU Berlin): Ansichten der Zukunft. Modelle und Visionen
Margarete Vöhringer (ZfL): »Die Zukunft ist unser einziges Ziel«. Utopisches und Konkretes in der Kunst der russischen Avantgarde
17.30–18.30
Jürgen Brokoff (Universität Bonn): Heilsversprechen, Trost, Rettung. Zur Konstellation Hölderlin – Hellingrath – George
19.00 Lesung
Patrick Roth: Real Time an den Feuern
Moderation: Stefan Willer
Samstag, 27.11.2010
SEKTION 4: Vorgängerschaft und Nachleben
Moderation: Martin Treml (ZfL)
10.30–12.30
Ian Balfour (York University): Shelley between Spinoza and Benjamin: On the Spirit of Prophecy
Herbert Kopp-Oberstebrink (ZfL): Der Historiker als »rückwärts gekehrter Prophet«. Zum Nachleben einer Denkfigur der Romantik
13.00–14.00
Angelika Neuwirth (FU Berlin): Der Prophet Muhammad. Ikone eines Rebellen im Wahrheitsstreit oder Tabula rasa für den Empfang göttlicher Wahrheit?
SEKTION 5: Nicht-Wissen und Fiktion
Moderation: Stefan Willer
15.30–16.30
Gabriele Gramelsberger (FU Berlin): Prognose, Projektion, Szenario. Storylines der Klimamodellierung
17.00–19.00
Rüdiger Campe (Yale University): Prognostisches Präsens. Zur Zeitform des probabilistischen Denkens
Elena Esposito (Università di Modena e Reggio Emilia): Formen der Zirkularität in der Konstruktion der Zukunft
Finissage
Die jüngste Finanzkrise hat eindrücklich deutlich gemacht, in welchem Maße ökonomische und politische Entscheidungen von Wissen über die Zukunft abhängig sind und wie unzuverlässig dieses Wissen sein kann. Die dramatische Falsifikation von Wachstumsversprechungen, aber auch die daraus erwachsenden Krisen- und Untergangserwartungen legen es nahe, die suggestive Kraft des Sprechens von der Zukunft kulturwissenschaftlich in den Blick zu nehmen. Denn auch das methodisch reflektierte Zukunftswissen bezieht seine eigentliche Macht aus der Vorwegnahme von Zukunft im Hier und Jetzt der Äußerung. Jede Prognose lässt sich immer auch als Appell, Warnung, Drohung oder Trost verstehen.
Die Prophetie ist demgegenüber keinesfalls nur ein ›vorwissenschaftlicher‹ Vorgänger der Prognostik, sie hat vielmehr eigene Formen der Rede ausgebildet, die durch die gegenwärtige Rückkehr der Religionen neue Aktualität gewonnen haben. Ein Prophet sagt nicht primär Zukunft voraus, sondern tritt als Bote auf, dessen Stimme eine höhere, transzendente Wahrheit zu Wort kommen lässt. Das wiederum ist problematisch, weil sich ein solcher Bote zugleich mit seiner Botschaft identifizieren und sich von ihr unterscheiden muss. Während also Prognosen Fiktionen einer wahrscheinlichen Zukunft entwickeln, sind Prophezeiungen Fiktionen einer unwahrscheinlichen Wahrheit.
Auch prognostisches Wissen entstand oft im religiösen Kontext. In der Neuzeit versucht jedoch die statistische Prognostik, die vorausgesetzte Regularität weltlicher Prozesse vor dem Horizont kontingenter Möglichkeiten auf eine wahrscheinliche Zukunft hin auszurechnen. Somit spielt die Prognostik eine entscheidende Rolle in der politischen Planung und wird in der zukunftsorientierten Moderne zu einem entscheidenden Faktor kulturellen Wissens. Die heutige methodisch reflektierte Zukunftsforschung beansprucht nicht, zukünftige Gegenwarten zu erforschen, sondern versteht sich als Wissenschaft gegenwärtiger Zukünfte. Auch sie entgeht allerdings nicht gänzlich der Suggestionskraft des Vor-Wissens. Der Prognostiker kann daher auch weiterhin mit dem Propheten verwechselt werden: Beide stehen für unsichere Äußerungen, die spezifische Formen des Wissens (wissenschaftliche Modelle, mathematische Verfahren) mit kulturellen Symboliken (Erfüllung und Katastrophe, Frist und Ende) und typischen Äußerungsformen (Warnung, Drohung, Trost) vielfältig kombinieren.