Warum Biodiversität? Attraktivität, Evidenz und Operationalisierung eines Konzepts
Dieses Jahr wird der Begriff der Biodiversität 30 Jahre alt. In seiner jungen Geschichte hat sich das Konzept schnell zu einem Schlüsselwort unserer Zeit entwickelt. Es steht im Zentrum von lokalen und globalen Initiativen zum Schutz der Natur, Projekten zur nachhaltigen Nutzung von Naturressourcen, Sammlungs- und Ausstellungsstrategien von Naturkundemuseen, wissenschaftlichen Forschungsprogrammen und vielem mehr. In der öffentlichen und politischen Kommunikation funktioniert ›Biodiversität‹ offenbar gut. Das Wort transportiert Achtung und Verantwortung für die Natur, Toleranz gegenüber dem Fremden, Freude an der Heterogenität und Mannigfaltigkeit. Es steht parallel zur kulturellen Vielfalt und Globalisierung und passt in eine Moderne, die sich selbst als pluralistisch versteht.
Der Workshop bietet Gelegenheit zu einer vorläufigen Bilanz, die den rasanten Aufstieg des Begriffs und die ihn begleitende Kritik zu reflektieren hat: Wie hat sich das Konzept bisher in der Praxis bewährt, etwa im Naturschutz oder für die Sammlungen und Ausstellungen von Museen? Inwiefern haben sich Ziele des Naturschutzes oder Konzeptionen von Ausstellungen unter dem Einfluss des neuen Leitbegriffs verändert? Wie lässt sich das Konzept überhaupt operationalisieren? Oder fungiert ›Biodiversität‹ im Wesentlichen als ein Marketingbegriff, der für die Praxis von nur geringer Bedeutung ist? Werden durch den Begriff wichtige Entwicklungen vielleicht sogar abgeschnitten, sinnvolle Prioritäten verschoben, wenn zum Beispiel statt des Schutzes von Lebensräumen oder einzelner Arten der Blick allein auf die Vielfalt gerichtet wird? Welche Vorteile, aber auch welche Gefahren sind also mit ›Biodiversität‹ als einem leitenden Begriff für die unterschiedlichen Felder der Praxis – vom lokalen Naturschutz bis zur globalen Umweltpolitik – verbunden?
Programm
Freitag, 02.12.2016
14.00–14.45
Georg Toepfer (ZfL): Kritik der Biodiversität
14.45–15.30
Johann-Wolfgang Wägele (Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig Bonn): Artenvielfalt erfassen. Die Crux der Biodiversitätsforschung
16.00–16.45
Kurt Jax (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig): Der Begriff ›Biodiversität‹. Meilenstein für den Naturschutz oder Vehikel zur Verzweckung der Natur?
16.45–17.30
Barbara Warner (Akademie für Raumforschung und Landesplanung – Leibniz-Forum für Raumwissenschaften Hannover): Biodiversität, Flächennutzung, Klimawandel... Konfliktfelder und Strategien der räumlichen Planung
17.30–18.15
Karsten Grunewald (Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden): Die Biodiversität von Gletschern
Samstag, 03.12.2016
9.00–9.45
Andreas Graner (Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung Gatersleben): Die Züchtung von Kulturpflanzen im Spannungsfeld zwischen dem Bewahren und der Veränderung genetischer Vielfalt
9.45–10.30
Michael Glemnitz (Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung Müncheberg): Paradigmen, Prozesse und Operationalisierbarkeit von Biodiversitätsindikatoren in der Landnutzungsforschung
11.00–11.45
Michael Ohl (Museum für Naturkunde Berlin): Wie viel ist viel? – Zahlen und Strategien zur Abschätzung des Umfangs der Biodiversität
11.45–12.30
Tahani Nadim (Museum für Naturkunde Berlin): Biodiversität zwischen Verlust und Verdatung
12.30–13.15
Thomas Potthast (Universität Tübingen): Über die Gleichzeitigkeit von Relevanz und Irrelevanz sowie das uneingelöste Versprechen der Ökologie – 30 Jahre Biodiversität zwischen Umweltpolitik und Lebenswissenschaften
Abb.: Streumuster, van Kessel, Kriechtiere, um 1660