Lecture
25 Sep 2019 · 3.55 pm

Tatjana Petzer: Ausgraben, Ausforschen, Auslegen. Danilo Kišs Arbeit am Dokument

Venue: Universität Trier, Universitätsring 15D, 54296 Trier
Research project(s): Synergy. A History of Knowledge

Lecture at the panel »Formen des Dokumentarischen in osteuropäischer Nachkriegsliteratur«, organized by Clemens Günther (FU Berlin) and Matthias Schwartz (ZfL Berlin), at the 13. Deutscher Slavistentag 2019, University of Trier

Shoah und Gulag haben dem Schriftsteller, so Danilo Kiš, die Verpflichtung zum Dokumentarischen auferlegt. Er selbst verstand seinen dokumentarischen Ansatz als ›antiromantisches, antipoetisches Prinzip‹ von Registratur und Archiv, Evidenz und Zeugenschaft. Durch die Ermittlung und Interpretation von Dokumenten – mittels Methoden der (literarischen) Geologie, Archäologie, Kriminologie und der jüdischen Hermeneutik – wird ein authentisches Dokument in der Literatur, also eine parallele, vom Autor verantwortete Faktizität erschaffen. Die Fingiertheit eines Dokuments gründet dabei keineswegs auf der Prämisse, den Leser zu täuschen oder diesen zu verleiten, den literarischen Text im Rezeptionsprozess in ein beliebiges Spiel der Zeichen aufzulösen. Kišs Gesamtwerk erweist sich vielmehr als Suche nach einer literarischen Form, in der eine Gesamtheit von Dokumenten zu einem einzigen Zeugnis, das dem »Prüfstein der Fakten« standhält und in sich die aus der Geschichte gewonnene Quintessenz konzentriert, verdichtet wird. Exemplarisch dafür und als ein prominentes Verfahren der Sondierung, Verfremdung und Überformung wird die doppelte Tradierung des Dokuments als unveränderbares Zeichen, als documentum ›Beweis‹, und als kommentierendes Supplement, im Sinne von docēre ›Belehrung‹, herausgestellt.

Tatjana Petzer is a literary scholar/slavist and Dilthey Fellow with the project Synergy. A History of Knowledge.