Alternative Moderne. »Afrika« in der Kompositionskultur des 20. Jahrhunderts

Im Zuge weltweiter wirtschaftlicher und medialer Vernetzung avanciert auch die Musik zum Gegenstand einer durch die Überschreitung topographischer und kultureller Grenzen gekennzeichneten Globalgeschichte. Anhand des Eintretens »Afrikas« in das Bewusstsein zweier durch ihr Geburtsdatum, ihre Sozialisation und stilistische Entwicklung klar voneinander zu trennender Komponisten wie Alexander Zemlinsky und Steve Reich wurde verdeutlicht, dass auch künstlerische Entscheidungen im Rahmen eines globalen Bezugssystems getroffen werden, die das 20. Jahrhundert vom »Exotismus« früherer Epochen grundlegend unterscheidet.

Die Untersuchung von Alexander Zemlinskys Symphonischen Gesängen Afrika Singt op. 20 (nach einer zeitgenössischen Wiener Anthologie) rekonstruierte anhand des Kompositionsautographs die im Frühjahr 1929 nahe dem Berliner Tiergarten beginnende Entstehung der Komposition, die über die Côte d’Azur und das Salzkammergut zurück nach Wien zum Verlag der Universal Edition führt. Durch die analytische Ausleuchtung der Beziehung von Musik und textlichem Gehalt der vertonten afroamerikanischen Lyrik – ihrem lautmalerischen Wirbel, einer dialogischen Verschränkung weltlicher und religiöser Motive oder der grellen Ironie einer als Idylle verkleideten Lynchszene – zielt sie ferner auf eine kulturelle Kontextualisierung von Zemlinskys avancierter Variantentechnik.

Die Erschließung von Steve Reichs Skizzenbüchern und Notizen aus der Zeit seiner Westafrikareise im Sommer 1970 untersuchte die ästhetischen Konsequenzen seines Umgangs mit Musik aus der Volta-Region Ghanas (Gahu, Atsiabegkor, Agbadza), erbrachte neue Details zum institutionellen Umfeld dieser Begegnung und widmete sich der Genese von Drumming, einem 1971 in New York uraufgeführten Schlüsselwerk der sogenannten »Minimal Music«. Die Quellen aus dem Archiv der Basler Paul Sacher Stiftung eröffneten dabei eine neue Perspektive auf die in und um das Werk sowohl hinsichtlich kultureller Einflüsse als auch der Hierarchie von Komponist, Interpret und Publikum verhandelte Beziehung von »self« und »other«.

Das von der Ernst von Siemens Musikstiftung geförderte Vorhaben knüpfte somit zugleich an frühere Aktivitäten des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, wie das 2008 abgeschlossene Projekt Afrika - Europa. Transporte, Übersetzungen sowie die Konferenz Alexander von Zemlinsky und die Moderne (Deutsche Oper Berlin 2007) an.

gefördert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung September 2012–Juli 2013
Bearbeitung: Tobias Robert Klein

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