Antike-Rezeption im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Literarische Modelle, archäologische Dimensionen, kulturwissenschaftliche Perspektiven
Die auffällige Renaissance und zentrale Bedeutung der Antike in der Literatur, Theorie und Wissenschaft seit den 1960er Jahren dieses Jahrhunderts ereignet sich gerade nicht unter dem Vorzeichen einer Reetablierung der Tradition. Vielmehr erweist sich die Antike als historischer Referenzpunkt auf der Suche nach Neuorientierungen angesichts der Herausforderungen der Gegenwart. Signifikant sind neue Schwerpunktsetzungen in Anknüpfung an vernachlässigte, abgewertete, unabgegoltene antike Ansätze: von der Dekonstruktion kanonischer Texte über die Wiederentdeckung der kommunikativen Agonistik der Sophisten und die Rezeption der epikureischen Semiotik und Ästhetik bis zu mediengeschichtlichen Untersuchungen und Gender-Forschungen zur Antike. Zugleich fordert die postkoloniale Kritik am Eurozentrismus/ Okzidentalismus mehr denn je dazu heraus, nach dem Europaspezifischen der Antike-Rezeption in einer Geschichte wechselseitiger kultureller Einflüsse zu fragen.
Literarische Modelle haben einen spezifischen Anteil am Wandel der Antike-Rezeption im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. So ist die Problematisierung von Zentrum und Peripherie in Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt nicht unabhängig von neuen kulturellen und sozialen Bewegungen in der Gegenwart. Heiner Müllers Epochengedicht Mommsens Block entzündet sich an der Frage, warum Mommsen keine römische Kaisergeschichte geschrieben hat und woran Weltreiche zerbrechen. Sarah Kane sucht sich (in Phaidra's Love) der Realität der äußeren Zwänge, Kämpfe und Widerstände durch die performative Darstellung von Tod und Gewalt unter Bezugnahme auf Senecas Dramaturgie des Schrecklichen zu vergewissern.
Das Projekt gliederte sich in fünf Schwerpunkte: Europaspezifik und Postcolonial Studies; Selbstreflexion der Archäologie; Demokratie und Literatur; historische Subjektivitätsformen und Gender-Aspekte; Semiotik und Poetik.