Kindheit und Zusammenspiel zwischen Menschheit und Natur bei Walter Benjamin
Ein Begriff, der verschiedene Texte Walter Benjamins durchzieht, ist der von einer Technik, die auf Komplizität oder dem Zusammenspiel zwischen Menschheit und Natur beruht. Diese von Benjamin benannte »zweite Technik« steht im Gegensatz zur ersten Technik, die als bloße Herrschaft und Ausbeutung der Natur verstanden werden kann und die folglich zur Herrschaft und Ausbeutung des Menschen selbst führt. Der Begriff der »zweiten Technik« ist sehr aufschlussreich, um den verdinglichten und katastrophalen Zustand der modernen technologischen Massengesellschaften zu verstehen und politische Alternativen zu denken. Es handelt sich um eine zum Teil utopische Auffassung der Beziehung zwischen Menschheit und Natur, die einen der zentralen Punkte im anthropologischen Materialismus darstellt, den Benjamin von der Mitte der 1920er Jahre an entwickelt.
In dieser Schaffensperiode lässt sich eine säkularisierende Tendenz in Benjamins Denken beobachten, wodurch er sich von der Theologie und Metaphysik seines früheren Werks distanziert und sich der künstlerischen Avantgarde (Surrealismus und Dadaismus) und dem historischen Materialismus annähert. Das Zusammenspiel Menschheit-Natur resultiert also aus der Spannung zwischen dem Experimentieren verschiedener Phantasieformen (im Traum, beim Kind, in der Liebe, in der Kunst und Poesie), den Skandalen und Revolten der Avantgardisten und der Idee einer disziplinierten Umwälzung der Gesellschaft im Sinne des traditionellen historischen Materialismus. Für den nicht-orthodoxen Materialismus Benjamins sollte die Veränderung in Richtung einer freieren Menschheit nicht als ein bloßer technischer Fortschritt verstanden werden, der die Ausbeutung der Natur und des Menschen verschärfen würde, sondern als eine radikalere Transformation, die die Technik und die ihr zugrundeliegende Rationalität selbst betrifft. Diese Transformation erreicht daher eine tiefere anthropologische und historische Ebene, in der sich die Beziehungen zwischen Menschheit und Natur gestalten. Die Kindheit stellt dabei einen privilegierten Ort dar, an dem diese Beziehungen spielerisch und auf eine immer neue Weise ausgestaltet werden.
Publikationen
Francisco De Ambrosis Pinheiro Machado
- Märchen und Mythos in Walter Benjamins »Berliner Kindheit um neunzehnhundert«, in: Weimarer Beiträge 67.1 (2021), 31–47
- Imagens disruptivas: elementos surrealistas na concepção de história de Walter Benjamin, in: Revista de Filosofia 43.2 (2020), 39–70
Veranstaltungen
Francisco Pinheiro Machado: Märchen und Mythos in Walter Benjamins »Berliner Kindheit um neunzehnhundert«
Universität Bern, Schanzeneckstr. 1, 3012 Bern (Schweiz), R. A-119