Poetischer Rhythmus um 1800
Das Dissertationsprojekt setzte bei der Diskussion an, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts um die metrische und rhythmische Gestaltung von Dichtung entfaltet. Mit Klopstocks Komposition des Messias (1751–1773) in Hexametern gewinnt die Frage der Verwendung antiker Versmaße im Deutschen an Prominenz. Das zunächst rein technische Problem der (Un-)Möglichkeit eines ›deutschen Hexameters‹ (Klopstock) wird schnell zum Knotenpunkt weitreichender Fragestellungen, die den ästhetischen Diskurs des 18. Jahrhunderts bestimmen. Am Problem des Versmaßes etwa scheiden sich die Definitionen der Kunstformen (etwa das Verhältnis von Dichtung und Musik) wie auch innerliterarische Gattungsdefinitionen (zwischen Poesie und Prosa). Dann ist da die Frage der Historizität von Metrum und Rhythmus, der sich eine klassische bzw. klassizistische Dichtung zu stellen hat (Rousseau, G. Hermann, J. H. Voss). Quer dazu steht ein anthropologisches Rhythmusverständnis, das das Versmaß aus den menschlichen Körperbewegungen ableitet (A. W. Schlegel, Sulzer, K. Ph. Moritz). Und schließlich führt die Versifikation auch zu den sich um 1800 verändernden Konzeptionen von Zeit und deren Formen (Hölderlin, Schelling).
Das Dissertationsprojekt ging diesen vielschichtigen Diskurs über das poetische Versmaß an, indem es poetische und poetologische Texte zeitgenössischer Autoren (Klopstock, Goethe, Hölderlin, Novalis) untersuchte. Neben dem in der Rhythmus-Forschung weniger beachteten historischen Fokus 1800 rückte damit vor allem die Dichtung in den Vordergrund. Eine Lektüre, die solcherart poetologische Texte mit poetischen engführt, sollte der problematischen Vagheit des Rhythmusbegriffs entgehen und stattdessen die Gestaltungen der Rhythmusfrage in ihrer Verschiedenheit in den Blick rücken. Bei deren Formulierungen ging es etwa um die Organizität von Form (Klopstock), die ethische Geltung des Metrums (Hölderlin) oder um ›Takt‹ als soziale Form (Goethe). Mit der Lektüre versifizierter Texte wurden in der Arbeit, neben verschiedenen Konzeptionen des Versmaßes, auch methodische Fragen verhandelt, d. h.: wie können und sollen versifizierte Texte – im weiteren Sinn: rhythmische Formen – gelesen werden?
Publikationen
Poetologien des Rhythmus um 1800
Metrum und Versform bei Klopstock, Hölderlin, Novalis, Tieck und Goethe
Elisa Ronzheimer
- »Folgeerscheinungen der rhythmischen décadence«. Rhythmus und Stil in Nietzsches »Ecce homo«, in: Boris Roman Gibhardt (Hg.): Denkfigur Rhythmus. Probleme und Potenziale des Rhythmusbegriffs in den Künsten. Hannover: Wehrhahn Verlag 2020, 91–103 (mit Eva Geulen)
Veranstaltungen
Eva Geulen & Elisa Ronzheimer: Rhythmus und Stil in Nietzsches »Ecce Homo«
Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld, Methoden 1, 33615 Bielefeld
Elisa Ronzheimer: Exzentrisches Erleben. Hölderin-Lektüren (Dilthey, Benjamin, Adorno)
Haus zur Lieben Hand, Löwenstraße 16, 79098 Freiburg, Seminarraum
Medienecho
Rezension von Hannah V. Eldridge, in: Monatshefte 114.4 (2022), 683–685