Gesicht im Porträt / Porträt ohne Gesicht
Das Thema Gesicht hat Konjunktur: Gesichtsscans anstelle von Eintrittskarten, Gesichtschirurgie als Verwandlungsinstrument des Individuums, facebook als virtueller Sammelplatz von Gesichtern, facial features als Auswahlkatalog in Samenspenderdatenbanken, Facial Action Coding System als Instrumentarium der Psychologie zur Kodierung von Gesichtsausdrücken und der Vorschlag einer fazialen Wende in den Wissenschaften sind nur wenige von vielen Phänomenen, die die Gesichtsthematik derzeit in den Blick rücken. Darüber hinaus haben zahlreiche Ausstellungen zum Porträt und Anti-Porträt in den letzten Jahren die stets neue Bilderflut und Auseinandersetzung mit medialen, politischen und künstlerischen Gesichtern in einer facialen Gesellschaft« vor Augen geführt. Das mehrjährige Forschungsprojekt Das Gesicht als Artefakt in Kunst und Wissenschaft des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin, das im Rückgriff auf Materialien aus Philosophie und Kunst, Literatur und Wissenschaft die für die Beschäftigung mit dem Gesicht symptomatischen kulturhistorischen Bruchlinien untersucht, ist Impulsgeber zur neuen Ausgabe des KUNSTFORUM international.
Mit diesem Band Gesicht im Porträt/Porträt ohne Gesicht erweitert das KUNSTFORUM die Bildniskunst mit ihren geistesgeschichtlichen Implikationen von Mimesis, Präsenz und Referentialität um eine neue Form der Gesichtskunst, die genau diese Implikationen hinterfragt. Stattdessen treten mit Blick auf die Thematik Begriffe wie Impersonifizierung, Manipulation und Zitation auf den Plan. Mit der Bestandsaufnahme aktueller Gesichter in Malerei, Zeichnung, Videokunst und Fotografie wird deutlich, dass das Porträt und Selbstporträt höchst fragile Kategorien geworden sind. In seiner Extremform zeichnet sich das Gesicht durch seine Abwesenheit aus mit der grundlegenden Frage: Wo ist der Mensch? Wo ist der Künstler?
- Judith Elisabeth Weiss: Gesicht im Porträt / Porträt ohne Gesicht (Editorial)
- Judith Elisabeth Weiss: Von Anti bis Meta. Neu-Orientierung der Porträtkunst
- Kirsten Claudia Voigt: Face as Interface. Gesichter im Angesicht des Subjekt-Bild-Skeptizismus
- Mona Körte: Gesichts(aus)schnitte – Teile vom Ganzen
- Judith Elisabeth Weiss: defacement / refacement. Löschung, Leere, Verlust
- Lydia Haustein: Fotografie und Videokunst: Das Gesicht als poetische Abstraktion
- Fritz Emslander: »Ich kann den Mann wegen der Ähnlichkeit nicht erkennen«. Zeichnerische Positionen zur Aufhebung der Ähnlichkeit im Porträt
- Frank Auerbach: Der Endpunkt ist der Punkt, an dem das Problem gelöst zu sein scheint. Ein Gespräch mit Mona Körte und Judith Elisabeth Weiss
- Michael Druks: Wenn man reagiert, ist man nicht frei. Zur Topografie des Gesichts. Ein Gespräch mit Herbert Kopp-Oberstebrink und Judith Elisabeth Weiss
- Pascale Marthine Tayou: Spiele keine Spiele gegen dich selbst! Ein Gespräch mit Lydia Haustein
- Peter Weibel: Robert Wilsons Videoporträts
- Judith Elisabeth Weiss: Mark Lammerts »Kinne« und »Haare«. Zeichnerische Fragmente von Heiner Müller und Dimiter Gotscheff