»Anthropotechnik«
Zur Geschichte eines umstrittenen Begriffs
Optimierungs- und Züchtungsvisionen führen in eindrücklicher Weise vor, wie der Mensch und die Techniken, die auf ihn einwirken, aufeinander verwiesen sind. »Anthropotechnik« bezeichnet dabei im internationalen Maßstab einen Kreuzungspunkt, an dem Theorie und Praxis sowie Utopie und Forschung einander begegnen. Folgt man der weit verzweigten Spur dieses Schlagwortes, verschiebt sich die Sichtweise auf einen kontroversen Themenkomplex: Aus einer einseitigen Abhängigkeitsbeziehung wird ein wechselseitiger Aushandlungsprozess zwischen Mensch und Technik, der von wissenschaftlichen, politischen und ideologischen Paradigmen wie Praktiken bestimmt wird.
Das Buch setzt sich mit dem Konzept der »Anthropotechnik« in Frankreich, Polen, Russland und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert auseinander und weist die naive Verkürzung des Begriffs auf die »Menschenzüchtung« zurück. Ausgehend von der französischen Anthropologie über die polnische Soziologie bis hin zur russischen Genetik und deutschen Psychologie deuten Lesarten von »Anthropotechnik« über sich selbst hinaus auf unterschiedliche Bestimmungen des Menschlichen. Durch eine Analyse dieser vielschichtigen Verflechtung des Begriffs gelingt es Liggieri, die beschränkte nationale Diskursivierung zugunsten einer (außer-)europäischen zu überwinden. Seine Studie verdeutlicht, dass sich im Begriff der »Anthropotechnik« ein Bild der jeweiligen Zeit als Netzwerk von Ideologien, Politik, Wissenschaft, Praxis, Kritik und Kunst abzeichnet.
Die Arbeit erhielt den Carlo-Barck Preis des ZfL sowie den Preis des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen.