Das Mittelmeer aus der Perspektive des Schwarzen Meeres. Topographie und kulturelle Semantik im thalassischen Europadiskurs
Programm
Sigrid Weigel hält den Vortrag im Rahmen der Tagung "Das Mittelmeer
1860-1960. Poesie und Politik eines Raumes".
Der
erste Teil des Vortrags von Sigrid Weigel diskutiert Carl Schmitts Buch
"Land und Meer" (1942) einerseits im Hinblick auf die geopolitischen
Implikationen, die mit dem historischen Index seiner Entstehung im
Dritten Reich verbunden sind, andererseits hinsichtlich seines
theoretischen Anregungsgehalts für die Konzepte einer europäischen
Kulturgeschichte.
Mit Blick auf andere thalassische Modelle
Europas plädiert der zweite Teil dafür, die Begriffe der
epochengeschichtlichen europäischen Raumordnung von Land und Meer für
eine topographische Betrachtungsweise zu überführen und den
Europadiskurs - jenseits einer Fortschrittsgeschichte - stets, auch im
"ozeanischen" Zeitalter oder in der Globalisierung, als thalassischen zu
verstehen. Das heißt, dass die verschiedenen Binnenmeere und
Meeresbecken Europas - und nicht nur das Mittelmeer - als Schauplätze
des Austausches und der Abgrenzung von Kulturen, Religionen, Sprachen,
Techniken zu untersuchen sind. Insbesondere für das die Konferenz
beschäftigende Jahrhundert der "orientalischen Frage", die seit dem Ende
des Krimkrieges 1856 auf der europäischen Agenda ganz oben stand, gilt
es, die Aufmerksamkeit von einer um Rom und das Mittelmeer zentrierten
Europageschichte Richtung Osten zu verschieben - zum Schwarzen Meer.
Damit gerät nicht nur das "zweite Rom" (Konstantinopel) in den Blick,
sondern eine Pluralisierung der (religions-)kulturellen Genese Europas -
inklusive des Schattens, der vom "dritten Rom" (Moskau) auf diese
Region fällt.