Die ›Erste Kulturwissenschaft‹ und ihr Potential für die Gegenwart
Um 1900 entsteht im deutschen Sprachraum eine Kulturwissenschaft, die sich zunächst mit Phänomenen beschäftigt, die den etablierten wissenschaftlichen Disziplinen nicht eindeutig zugeordnet werden können (wie das Soziale, das Unbewusste, die Medien), aber bald zu einer generelle Rekonfiguration der Wissenslandschaft führen. Zentrale Autoren dieser Ersten Kulturwissenschaft wie Sigmund Freud, Aby Warburg, Ernst Cassirer, Helmuth Plessner, Max Weber, Georg Simmel, Walter Benjamin und Ernst Auerbach arbeiten als ›Grenzgänger‹ bereits etablierter Wissenssysteme mit einer Kombination von verschiedenen Disziplinen. Sie übertragen Konzepte und Methoden von einem Bereich in den anderen und sprechen etwa von einer politischen Theologie oder einer Entzifferung der Bilder.
Die gegenwärtige Aktualität und internationale Ausstrahlung der Ersten Kulturwissenschaft beruht u.a. auf ihrer methodischen Selbstreflexivität, denn sie setzt ihren Gegenstand nicht einfach voraus, sondern fragt immer auch nach der wissenschaftlichen Konstruktion von Kultur und sucht nach Verbindungen von historischen Methoden und systematischen Fragestellungen. Gerade für die gegenwärtige kulturwissenschaftliche Rhetorik der verschiedenen (performative, iconic, religious) turns ist es von entscheidender Bedeutung, dieses Übertragungsgeschehen zu reflektieren.
Die Internationale Sommerakademie des ZfL untersucht die epistemologischen Potentiale der Ersten Kulturwissenschaft und ihre Relevanz für die gegenwärtige Entwicklung der Kulturwissenschaften diskutieren. Nachwuchswissenschaftler/innen (Doktorand/innen und PostDocs) der Geistes- und Kulturwissenschaften stellen ihre Projekte vor, die historisch zur Ersten Kulturwissenschaft arbeiten oder sich auf deren Methoden und Konzepte beziehen. Die Sommerakademie umfasst Workshops (gemeinsame Lektüre und Diskussion zentraler Texte der Ersten Kulturwissenschaft), die Präsentation eigener Arbeiten durch die Teilnehmer, öffentliche Vorträge mit Diskussion von namhaften Kulturwissenschaftlern und ein themenbezogenes kulturelles Rahmenprogramm.
Programm
Öffentliche Abendvorträge:
Mo, 11.07.2011
Sigrid Weigel (ZfL): Jenseits der zwei Kulturen – die Episteme der Ersten Kulturwissenschaft
Di, 12.07.2011
Carlo Ginzburg (Pisa): Pathosformeln – Aby Warburg in Context
Do, 14.07.2011
Georges Didi-Huberman (Paris): Atlas – Survey and Similitude