Geheimes Wissen und massenhafte Verbreitung. Elias Canettis Überlegungen zur Dynamik des Gerüchts
Programm
Vortragsreihe im Rahmen der Ausstellung "Gerüchte"
Kooperation des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin mit dem Museum für Kommunikation Berlin
Zum Vortrag
Sofern das Gerücht auf der Ebene der informellen Kommunikation kursiert, besonders im Zeitalter vor der Elektrifizierung und der elektronisch weltweiten Vernetzung zumeist mündlich ans nächste offene Ohr und nahezu ohne bleibende Spuren weitergegeben, sind seine Verbreitungswege kaum nachzuzeichnen und sein Auftauchen unvorhersehbar. Es kann einerseits als ein Versuch angesehen werden, eine Öffentlichkeit im Kleinen, auch eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, die sich den offiziellen Verlautbarungen und regierungsamtlichen Erklärungen, der journalistisch verbürgten Nachricht oder dem wissenschaftlich geprüften Wissen entgegenstellen. Andererseits entzieht sich das Gerücht auch denjenigen, die es bloß weitergeben, ebenso wie denjenigen, die es in die Welt gesetzt haben: Egal mit welcher Absicht und welchen Interessen Gerüchte verbreitet werden, ihr Schicksal ist wesentlich unkontrollierbar und nimmt zuweilen gefährliche Wendungen. Gerüchte können Existenzen ruinieren. Elias Canettis Überlegungen zu Masse und Macht bieten weitreichende Anstöße dafür, nach der Plötzlichkeit ihres Auftauchens, der Dynamik ihrer massenhaften Verbreitung, den mit ihnen verbundenen Machteffekten und dem Schwinden ihrer Präsenz zu fragen.
Erik Porath, Philosoph und Medienwissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im ZfL-Forschungsprojekt Ausdrucksgebärden zwischen Evolutionstheorie und Kulturgeschichte.