Georg Dickmann: »Sich an C19H28O2 anschließen« – Onto-epistemologie und ästhetische Praxis in Paul B. Preciados »Testo Junkie«
Vortrag bei der interdisziplinären Tagung »Konstellationen – Wissensansprüche zwischen Kunst, Philosophie und Politik« an der Universität Tübingen
Denken hat die Tendenz, durch reflexive Schleifen die Objekte im Subjekt-Objekt-Verhältnis zugunsten eines auktorialen Subjekts auszulöschen. Dieser subjektzentrierten Reduktion haben sich in den letzten Jahren vor allem Strömungen des Neuen Materialismus entgegengestellt, indem sie sowohl die Erkenntnistheorie nach Kant als auch die Hypostasierung der Sprache der Diskursanalyse spekulativ zu verabschieden versuchten. Wie sich eine spekulative Kritik als ästhetische Praxis vollziehen kann, zeigt, so die Ausgangsthese des Vortrags, die Theoriefiktion Testo Junkie. Sex, Drogen, Biopolitik in der Ära der Pharmapornografie (2016) von Paul B. Preciado. In einem theoretisch-ästhetischen Grenzgang unternimmt der spanische Philosoph und Queer-Theoretiker den Versuch, das epistemische Verhältnis von Philosophie, Ästhetik und Politik neu auszuloten. Sein Intoxikationsprotokoll des über ein Jahr andauernden Testosteron-Selbstversuchs sowie die Sozialphilosophie und queere Diskursgeschichte des Hormons, ist, so die These des Vortrags, eine experimentelle, subjektkritische und konstellative Schreibweise, die nicht nur ein neues Text-Genre kreiert, sondern auch im Sinne des Karen Barad’schen Theorems der Onto-epistemologie Weltzusammenhänge nicht als die Gesamtheit interagierender und durch das Subjekt vermittelter Entitäten begreift, sondern als ein prozessartiges, lust- und machtvolles Materialisierungsgeschehen, in dem die Relata den Relationen nicht vorausgehen.
In der gegenseitigen Indienstnahme von Karen Barad und Paul B. Preciado versucht der Vortrag nachzuspüren, dass weder der Text noch die chemischen Artefakte, die den Körper durchfluten, einfach gegeben sind oder nebeneinanderstehen. Vielmehr werden diese in der ästhetischen Praxis zu einem geteilten und metafiktionalen Gefüge, in dem nicht die Erfahrung von Intoxikation vorrangig ist, die dann nachträglich protokolliert wird, sondern diese sich erst in einem situierten (Haraway) und intraaktiven (Barad) Schreiben formiert. Im Theorieexperiment Preciados ist die ästhetische Praxis somit nicht nur Gegenstand der Untersuchung, sondern hinterfragt die Theorie selbst. Davon ausgehend sind die Leitfragen des Vortrags: Wie verschränken sich bei Preciado Theorie und Kunst? Was sind die Bedingungen der Möglichkeit eines situierten und verkörperten Wissens und wie stehen diese in Bezug zu seiner Schreibpraxis?
Anmeldungen für die Tagung bis 31. März an tagungkonstellationen@gmail.com.
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Die Tagung richtet sich ausdrücklich an Studierende und Interessierte aller Fachrichtungen.
Der Philosoph und Literaturwissenschaftler Georg Dickmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Stil. Geschichte und Gegenwart.