Vortrag
05.10.2021 · 11.15 Uhr

Georg Toepfer: Wie die Menschen! Wann und warum die Tiere im 20. Jahrhundert zu »Sprache«, »Geist« und »Kultur« fanden

Ort: online

Vortrag in der Sektion »Wie die Tiere? Analogien und Differenzierungen zwischen Animalischem und Humanem im 20. Jahrhundert« auf dem 53. Deutschen Historikertag in München, 5.–8.10.2021

Im Vortrag wird rekonstruiert, wie die großen Begriffe, die ehemals den Menschen als eine distinkte Spezies auszeichneten, im Laufe des 20. Jahrhunderts diese Funktion verloren haben: Die Kommunikation von Bienen wurde zur ›Sprache‹, die lokalen Traditionen von Schimpansen zur ›Kultur‹ und das intelligente Verhalten vieler Tiere zum Ausdruck von ›Geist‹. Nachdem auch andere Begriffe wie ›Sozialverhalten‹, ›Bewusstsein‹ und ›Freiheit‹ ihren Status als Distinktionskategorien verloren haben und der Mensch selbst als ein Tier verstanden wird, stellt sich die Frage, auf welcher begrifflichen Grundlage und in welchen Verfahren sich die noch immer herrschende Praxis der Distinktion entfaltet.

Der Philosoph Georg Toepfer leitet den Programmbereich Lebenswissen und das Projekt Diversität. Begriffe, Paradigmen, Geschichte.

Programm

Gesamtprogramm der Sektion

Dienstag, 5.10.2021, 11.15–13.00

Leitung: Rüdiger Graf

Moderation: Nina Verheyen (Essen/Köln)

In ihrer Geschichte der Primatologie kritisierte Donna Haraway Ende der 1980er Jahre Versuche, aus der Beobachtung von Menschenaffen Wissen über menschliche Gesellschaften abzuleiten, und betonte demgegenüber die soziale Konstitution auch naturwissenschaftlichen Wissens. Obwohl letztere inzwischen weit über die feministisch inspirierten Kulturwissenschaften hinaus anerkannt ist, erheben doch immer wieder Primatologen, Ethologen oder Biologen den Anspruch, mithilfe von Tierbeobachtungen auch menschliches Verhalten zu erklären. Die Frage nach der Übertragbarkeit ihrer Erkenntnisse auf den Menschen hat die Tierethologie, die im 20. Jahrhundert zu einer eigenständigen Disziplin wurde, von ihren Anfängen an begleitet. Auch im breiteren öffentlichen Diskurs und in vielen anderen Wissensfeldern dienten Vergleiche zwischen Mensch und Tier oft zur anthropologischen Identitäts- und Differenzbestimmung. Ausgehend von diesem Befund wird in der Sektion ausgelotet, wo und auf welche Weise aus der wissenschaftlichen Beobachtung von Tieren gewonnenes Wissen zur Erklärung menschlicher Verhaltensweisen und sozialer Prozesse eingesetzt wurde. Im Zentrum stehen dabei die Kriminologie und Täterforschung, die Nutzung verhaltensbiologischer Argumente in der Kindererziehung und die animalistische Deutung wirtschaftlichen Verhaltens. Komplementierend wird aber auch gefragt, inwiefern anthropologische Kategorien und Annahmen das Wissen vom Animalischen mitgeprägt haben. Mit dieser Perspektive unterscheidet sich die interdisziplinär angelegte Sektion von den in jüngster Zeit expandierenden Human-Animal-Studies und fragt vielmehr nach dem Wandel der Deutung von Mensch und Gesellschaft im Medium der Tieranalogie im 20. Jahrhundert.

  • Georg Toepfer (ZfL): Wie die Menschen! Wann und warum die Tiere im 20. Jahrhundert zu »Sprache«, »Geist« und »Kultur« fanden
  • Rüdiger Graf (Potsdam): Animal Spirits und Decision-Making Organisms. Tierische Perspektiven auf wirtschaftliches Verhalten.
  • Marcus Böick (Bochum): Das Tier im Täter: Kriminologische Diskurse über menschliches Gewaltverhalten
  • Sophia Gräfe (Marburg): Streitfall Verhalten – Verhaltensbiologie zwischen Tierforschung und Sozialhygiene

ausführliches Programm mit Vortragsabstracts