Diversität. Begriffe, Paradigmen, Geschichte
Ziel des Projekts ist es, die verschiedenen Traditionslinien, die zur gegenwärtigen politischen Konjunktur des Konzepts der Diversität geführt haben, in ihrer Unterschiedenheit und Wechselwirkung zu verstehen und in ihrer Konvergenz zu erklären. Nach unseren bisherigen Analysen lassen sich vier Paradigmen der Diversität gegeneinander abgrenzen:
- ein sozial-juridisches Gleichberechtigungsparadigma, angestoßen von Emanzipationsbewegungen und gerichtet auf die Gleichbehandlung und Gleichstellung von Menschen unabhängig von ihren biologischen oder kulturellen Eigenheiten;
- ein liberalistisch-ökonomisches Markt- und Managementparadigma, das ›Vielfalt‹ als Ergebnis und Ziel des freien Marktes versteht und auf Effizienz im Management von Unternehmen zielt;
- ein ethisch-ökologisches Naturschutzparadigma, das in der (Bio-)Diversität einen unersetzlichen Wert an sich und einen Garanten für ökologische Stabilität sieht; und schließlich
- ein kulturell-ästhetisches Selbstentfaltungsparadigma, für das Diversität ein zentrales Prinzip der Selbstidentifikation und Eigendarstellung ist, das Grundlage unterschiedlicher Identitätspolitiken sein kann.
Der Fokus des Projekts liegt darauf, die normative Aufladung des Diversitätsbegriffs aus der gegenseitigen Beeinflussung dieser konzeptionell und historisch zunächst sehr unterschiedlich verankerten Paradigmen zu erklären. Dieses normative Diversitätskonzept ermöglicht es ‒ so die dem Projekt zugrundeliegende Hypothese ‒, eine Grundstruktur der Spät- oder Nachmoderne auf den Begriff zu bringen. Wesentliche Motive der Moderne werden dabei reflektiert und distanziert betrachtet, etwa die Ideale des Universalismus, Monismus und Anthropozentrismus. Im Detail zu untersuchen ist dabei, auf welche Weise die Konzepte der verschiedenen Felder aufeinander Bezug nehmen und in ihrer Interaktion neue Perspektiven entfaltet haben.
Das Projekt fächert sich in drei Teile auf:
- Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung widmet sich der historischen Semantik von ›Diversität‹ und seinen Nachbarbegriffen (wie ›Pluralismus‹, ›Mannigfaltigkeit‹ und ›Heterogenität‹) in der politisch-sozialen Sprache des 20. Jahrhunderts; sie wird in einen Beitrag zum ZfL-Lexikon Das 20. Jahrhundert in Grundbegriffen münden.
- In einem kleinen Kompendium wird die Entwicklung des Diversitätsdiskurses anhand der Geschichte zentraler Begriffe (wie ›Emanzipation‹, ›Rassismus‹ oder ›Intersektionalität‹) nachgezeichnet und nach verschiedenen Zeitschichten gegliedert; diese Arbeit, die auch eine Website umfasst (www.diversity-glossar.de) entsteht im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Diversity and Gender Equality Network (DiGENet) der Berlin University Alliance (BUA).
- Schließlich befindet sich eine Monografie zu den Darstellungsformen der biologischen Vielfalt in ihrem Wechselspiel mit sozialen Modellen in Arbeit.
Publikationen
- Georg Toepfer im Auftrag des Diversity and Gender Equality Network (DiGENet) der Berlin University Alliance: Diversity-Glossar. Wörter der Vielfalt im historischen Kontext
Georg Toepfer
- Gleichheit und Verschiedenheit. Zur Geschichte und Theorie ihrer Durchdringung, in: Mittelweg 36 2 (2024), 23–49
- Egalitäre Logik. Zur Entwicklung der Wertschätzung des Besonderen, in: Forschung & Lehre 4 (2023), 239–242
- Diversität, in: Martin Sabrow, Achim Saupe (Hg.): Handbuch Historische Authentizität. Göttingen: Wallstein 2022, 115–122
- Die Logik der Liste. Von der babylonischen »Listenwissenschaft« zur Biodiversität, in: KWI-BLOG, 13.4.2022
- Biodiversität als Tatsache und Wert in der langen und kurzen Geschichte des Konzepts, in: Stascha Rohmer, Georg Toepfer (Hg.): Anthropozän ‒ Klimawandel ‒ Biodiversität. Transdisziplinäre Perspektiven auf das gewandelte Verhältnis von Mensch und Natur. Freiburg i.Br.: Karl Alber 2021, 26–47
- Diversität. Historische Perspektiven auf einen Schlüsselbegriff der Gegenwart, in: Zeithistorische Forschungen 17 (2020), hg. von Frank Bösch u.a., 130–144
- Diversität. Bemerkungen zur Begriffsgeschichte der Diversität ausgehend von drei Sammelbänden, in: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte 8.1 (2019), hg. von Ernst Müller, Falko Schmieder, 6–14
Veranstaltungen
Georg Toepfer: Biodiversität und soziale Diversität: Konjunkturen ihrer Interaktion um 1800, um 1900 und um 2000
Universität Kiel
Georg Toepfer: Diversität und Inklusion als Beschreibungen und als Normen. Zur Geschichte der Begriffe und Praxen
Universität Zürich
Georg Toepfer: Normativität und Wertfreiheit von Wissenschaft im Anthropozän
Universität Augsburg
Georg Toepfer: Vielfältiges Leben nebeneinander. Biodiversität im Zoo und andernorts
Menschenaffenhaus des Zoologischen Gartens Wuppertal, Hubertusallee 30, 42117 Wuppertal
Georg Toepfer: Zur Wissensgeschichte und zum Begriff der Biodiversität(en)
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Georg Toepfer: Biodiversität erzählen: Probleme und Lösungen aus einer langen Geschichte
Universität Zürich
Georg Toepfer: Das Wahrnehmen und das Wissen von Biodiversität: Konvergenzen und Divergenzen
Umweltbildungsstätte Rhöniversum, Auweg 1, 97656 Oberelsbach
Georg Toeper: Über Leben und Tod im Allgemeinen. Geschichte, Begriffe, Darstellungsformen
Universität Hamburg
Georg Toepfer: Das Historische Wörterbuch der Biologie – Motive und Konzept
FernUniversität in Hagen, Gebäude 2, Raum 1–3, Universitätsstraße 33, 58097 Hagen
Georg Toepfer: Bilder und Metaphern für die Räume des Naturschutzes: Vom ›Naturdenkmal‹, ›Reservat‹ und ›Staatspark‹ zu ›ungestümen Gärten‹, ›Stadtnatur‹ und ›Konvivalität‹
Kerschensteiner Kolleg des Deutschen Museums, Museumsinsel 1, 80538 München
Georg Toepfer: Pronoun Trouble. Der Plural im Singular und das Weibliche im Männlichen der Personalpronomen in Tierenzyklopädien seit der Antike
Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld, Methoden 1, 33615 Bielefeld
Verlust und Vielfalt. Zur Parallele von Artenschutz und Denkmalschutz um 1900
Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL), Schützenstraße 18, 10117 Berlin, 3. Etage, Trajekte-Tagungsraum
Georg Toepfer: Four Goals of Nature Conservation and their Diverging Implications
Schloss Herrenhausen, Herrenhäuser Str. 5, 30419 Hannover
Georg Toepfer: Verlust und Vielfalt als Zweifel an der Moderne
Ruhr-Universität Bochum
Georg Toepfer: Zur Verteidigung des Naturbegriffs
Deutsches Historisches Institut Paris, 8, Rue du Parc Royal, 75003 Paris
Georg Toepfer: Von der ästhetischen Einheit in der »Mannigfaltigkeit« zur komplexen »Diversität« ohne Ganzheit: ›Landschaft‹ vor dem und im Anthropozän
Universität Wien / Zoom
Georg Toepfer: Diversity Discourse over Time
Aarhus Universitet, Høegh-Guldbergs Gade 6B, 8000 Aarhus, Dänemark
Georg Toepfer: Unity or Diversity? Christian Origins of and Resistance to Valuing Diversity
Berlin
Georg Toepfer: Philosophy of Biology in Neokantianism. A Comprehensive and Systematic Account Parallel to and Apart from the Formation of the Field
Beckmanns Hof, Universitätsstraße 150, 44801 Bochum
Georg Toepfer: Konvergenzen zur Vielfalt. Die verschlungenen Pfade zur Konstitution und Wertschätzung von Diversität
Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), Raum 106, Goethestraße 31, 45128 Essen / online via Zoom
Georg Toepfer: Wie die Menschen! Wann und warum die Tiere im 20. Jahrhundert zu »Sprache«, »Geist« und »Kultur« fanden
online
Georg Toepfer: Der Wert der Vergangenheit in der ökologischen Krise der Gegenwart
Senckenberg Museum Görlitz
Georg Toepfer: Der Landschaftswandel in der Energiewende. Fünf historische Stationen, vier paradigmatische Richtungen, drei Traditionen, zwei Alternativen und ein Einzelfall
Gorch-Fock-Wall 3, 20345 Hamburg, Seminarraum der Kolleg-Forschungsgruppe
Georg Toepfer: Vier Naturbegriffe des Naturschutzes: Landschaft, Vielfalt, Wildnis und Gefüge
Hans-Eisenmann-Haus, 94556 Neuschönau