Geschlecht und Revolution
Podiumsgespräch zwischen Luise Meier (Berlin) und Klaus Theweleit (Freiburg) im Rahmen der Konferenz 1923 – Sattelzeit der Revolution. Umbrüche in Politik, Kultur und radikaler Gesellschaftskritik
Moderation: Patrick Eiden-Offe
1923 war auch ein Schicksals- und Wendejahr linker Theorie und Praxis: Im letzten Scheitern der Revolution und angesichts faschistischer Putsche muss die Linke sich auf nicht- oder gegenrevolutionäre Zeiten einstellen. In der Theoriebildung wirkt sich das zunächst einmal produktiv aus. Eine komplexe und vielstimmige Debatte entsteht, mit Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein und Korschs Marxismus und Philosophie erscheinen Werke, die später als Geburtsurkunden des »westlichen« oder des »Neo-Marxismus« gelesen werden. Linke politische Praxis hingegen wird marginalisiert, begibt sich in den Rahmen des parlamentarischen Systems oder beugt sich zugleich Vorgaben aus Moskau. Die faschistische Bewegung übernimmt die Initiative.
Welche Rolle spielen in dieser widersprüchlichen Situation die Geschlechter, die Körper, die Lüste? Diese Frage wollen wir mit Klaus Theweleit und Luise Meier diskutieren. In seinen Männerphantasien hat Klaus Theweleit vor fast einem halben Jahrhundert gezeigt, dass der Sieg der Konterrevolution und der Aufstieg des Faschismus auch als geschlechterpolitische und psychodynamische Bewegung verstanden werden muss. Aber steht der »soldatische Mann« immer nur rechts? Wie sehen die Geschlechter- und Körpermodelle der Linken aus? Luise Meier vertritt die These, dass es hier im Zeichen des »Proletkult« auch Öffnungen und Ent-Härtungen gegeben hat, wie zart und ephemer diese auch gewesen sein mögen. Die Linke hat ich im abgelaufenen Jahrhundert immer wieder und durchaus widersprüchlich auf die revolutionäre Sattelzeit von 1923 bezogen. Wir wollen die Diskussion also nicht nur historisch führen, sondern auch mit Blick auf unsere Gegenwart und den Wandel im Lauf der vergangenen 100 Jahre.
Klaus Theweleit, geb. 1942, war im SDS aktiv. Mit dem zweibändigen Werk Männerphantasien, erschienen 1977/78 im Verlag Roter Stern/Stroemfeld, hat er die Theoriedebatte der BRD revolutioniert. In seinen vielbändigen Buchzyklen Das Buch der Könige und Pocahontas hat er die Geschichten und Gegengeschichten männlicher und kolonialer Herrschaft in Kunst, Kultur und Politik aufgezeichnet. Sein Werk erscheint seit 2019 bei Matthes & Seitz Berlin.
Luise Meier, geb. 1985, ist freie Autorin, Theatermacherin, Dramaturgin und Performerin. 2018 erschien bei Matthes &Seitz Berlin ihr Buch MRX Maschine. Derzeit arbeitet Meier an dem Essay Proletkult vs. neoliberale Denkpanzer sowie an einem utopischen Near-Future/Science-Fiction-Romanprojekt, das 2024 erscheinen wird.
Eine Kooperation zwischen der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Helle Panke e.V. und dem ZfL.
Abb. oben: »Shouldering the Imitation Ox«, in: Richard Kearton: Wild Nature’s Ways. Cassell 1909