Hölderlin und Hegel heute
Freundschafft
Wenn Menschen sich aus innrem Werthe kennen,
So können sie sich freudig Freunde nennen,
Das Leben ist den Menschen so bekannter,
Sie finden es im Geist interessanter.
Der hohe Geist ist nicht der Freundschafft ferne,
Die Menschen sind den Harmonien gerne
Und der Vertrautheit hold, daß sie der Bildung leben,
Auch dieses ist der Menschheit so gegeben.
Als das mit dem Namen Scardanelli unterzeichnete lakonische Gedicht entstand, befand sich Hölderlin bereits in der Obhut des Schreinermeisters Ernst Zimmer im Tübinger Turm, wo er von 1807 bis zu seinem Tod 1847 lebte. Sein Freund Hegel war schon 1831 als Professor in Berlin gestorben. Die Wege des Dichters und des Philosophen, die sich in revolutionären Zeiten im Tübinger Stift kennengelernt hatten, waren verschieden und doch vielfältig verbunden. Immer wieder und besonders häufig in diesem doppelten Jubiläumsjahr 2020 sind die Dioskuren des deutschen Idealismus Gegenstand der Betrachtung und Bewunderung gewesen.
Aber auch Stereotypen halten sich hartnäckig: der früh ›umnachtete‹ Hölderlin als Paradefall von ›Genie und Wahnsinn‹, Hegel als vermeintlich autoritätsgläubiger preußischer ›Staatsphilosoph‹. Das schmale und fragmentarische Werk Hölderlins und das so systematische wie vielbändige Hegels sind bis heute immer wieder ausgeleuchtet und vermessen worden. Es gibt beinahe laufend neue Editionen, zahlreiche Biographien, üppige Einzelforschung und sehr viel zur wechselvollen Rezeptionsgeschichte beider. Und doch bleibt neben der Aura etwas Opakes. Das ›Schwierige‹ oder ›Dunkle‹ ihrer Texte hat sich nicht verloren. Ob man nun Hegels ›große Logik‹ aufschlägt oder Hölderlins bruchstückhafte Hymnen, das jeweils Fremdartige der Sprache und des Denkens charakterisiert beide Werke. In der Vergangenheit hat das sowohl zu kulthafter Verehrung als auch wiederholt zum Vergessen der beiden geführt.
Am 9. Dezember 2020 wollen wir uns unter dem Titel »Hölderlin und Hegel heute« den Werken dieser beiden Schwaben jedoch vor allem unter der Fragestellung nähern, was diese denn mit uns heute noch oder wieder zu tun haben könnten. (Und das dürfte sich kaum auf die Lehre des Social Distancing beschränken, die unklugerweise und wahrscheinlich folgenreich beim pompösen Begräbnis des an der Cholera verstorbenen Hegel keine Beachtung fand, während hinter Hölderlins Sarg nur etwa 100 Studenten sich einfanden und keine Professoren.)
Gewiss immer noch virulent und schwierig ist die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Philosophie. Man macht es sich zu einfach, wenn man dem einen die Literatur zuweist und dem anderen die Philosophie, nach dem Schema von naiv und sentimentalisch, mit dem Hölderlins Förderer Schiller sich und Goethe zu begreifen suchte. Hölderlin war aller Wahrscheinlichkeit nach der Autor des Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus, und die Frage nach der Rolle des Dichters im Gemeinwesen und der Geschichte war für ihn von philosophischem Rang. Hegels Vorlesungen zur Ästhetik (bzw. deren verschiedene Mitschriften) wie die Phänomenologie des Geistes räumen der Kunst enorme Bedeutung für den Verlauf der Geschichte ein und ihre zum Teil sehr ausführlichen Abhandlungen verraten neben Kenntnissen auch Sensibilitäten (übrigens auch einen Faible für populäre Genres).
Bei Hegels und Hölderlins Naturverständnis zeichnen sich dagegen deutliche Differenzen ab. Hegel schloss das Naturschöne aus der Ästhetik aus. Für Hölderlin ist die Natur nicht das Andere des Geistes, sondern eins seiner vornehmsten Produkte. Da ist uns Hölderlin heute gewiss näher als Hegel.
Lokal und Global: Hegel und Hölderlin haben in der schwäbischen Provinz angefangen. Der eine lehrte schließlich in Berlin, der andere kehrte nach Tübingen zurück. Beide haben Entwürfe entwickelt, die ins Weltgeschichtliche ausgreifen. Ihre Geschichtsphilosophien haben globale Dimensionen. Gibt es hier nach den vielen Verabschiedungen der Geschichtsphilosophie (O. Marquard) für uns überhaupt noch Anknüpfungspunkte? Oder ist uns seit einiger Zeit neu zu Bewusstsein gekommen, dass Lokales und Globales unmittelbar zusammenhängen und das ›Schwerste der Gebrauch des Eigenen‹ ist (Hölderlin an Böhlendorff 1801)?
Das führt zu Fragen ihres Politikverständnisses. Einem inzwischen geflügelten Wort zufolge sah Hegel in Napoleon den Weltgeist zu Pferde und wurde im Übrigen zum Philosophen des preußischen Staates. Hölderlins ›vaterländische Gesänge‹ waren in den Weltkriegen populär. Begonnen haben beide mit Begeisterung für die Französische Revolution. Können wir mit dem, was die beiden zur Revolution, zu Staat, Nation und Gemeinschaft sagen, heute noch oder wieder etwas anfangen?
Dieser Text erschien erstmals am 27.8.2020 auf dem ZfL Blog: Eva Geulen / Claude Haas: HÖLDERLIN UND HEGEL HEUTE.
Programm
- Vortrag Klaus Vieweg (Professor für Philosophie, Friedrich-Schiller-Universität Jena): Hegel und Hölderlin – Das »Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus«
- Vortrag Daniela Danz (Schriftstellerin, Kranichfeld): »der Heimath und der Schwere spottend«, »vaterländisch und [...] eigentlich originell«, »die unbeholfene Wildniß« – Einige Gedanken über drei zentrale Begriffe in Hölderlins Spätwerk
- Podiumsdiskussion: Daniela Danz und Klaus Vieweg sprechen mit Patrick Eiden-Offe (ZfL) und Martin Sabrow (Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin) über »Hölderlin und Hegel heute«. Es moderiert Eva Geulen (ZfL).
Die Vorträge und das Gespräch werden am 9. Dezember 2020 ohne Publikum im ZfL aufgezeichnet und in der Folgewoche auf der Webseite des ZfL und seinem Youtube-Kanal online gestellt.
Die Veranstaltung wird gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.