Konferenz
04.11.2021 – 06.11.2021

Hoffnung – mit Benjamin neu denken

Ort: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
Organisiert von Maria Teresa Costa (MPIWG), Pola Groß (ZfL), Ursula Marx (Walter Benjamin Archiv, AdK), Daniel Weidner (Universität Halle)
Kontakt: Pola Groß

Eine Kooperation von International Walter Benjamin Society, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin Akademie der Künste, Berlin und dem ZfL

Es gebe keinen Moment, so notiert Walter Benjamin, der nicht auch ein revolutionärer sein könne – verstanden als »Chance einer ganz neuen Lösung im Angesicht einer ganz neuen Aufgabe«. Revolution ist hier nicht nur Unterbrechung der Kontinuität zum Vergangenen, sondern auch Eröffnung einer Möglichkeit der Zukunft. Und sie ist nicht bloß radikal, weil die Aufgabe neu ist, sondern auch permanent, überall, gleichsam miniaturisiert, da eben nicht nur die großen Durchbrüche, sondern jede Lösung und jeder Augenblick revolutionär sein können.
 
Diese Notiz verändert unser Bild von Benjamin: Neben den saturnischen Kritiker und den skeptischen Grübler tritt ein Praktiker, der nach neuen Wegen und nach Möglichkeiten des Eingreifens sucht und dessen Radikalität weniger in der apokalyptischen Zukunft als im genauen Blick auf das Hier und Jetzt liegt. Seine Hoffnung ist keine Vertröstung auf Kommendes, sondern diejenige kritische Energie, der das Neue Aufgabe ist.
 
Mit und an Benjamin lässt sich gerade heute – angesichts von Entwicklungen, die noch vor einigen Jahren für unmöglich gehalten wurden – nach Hoffnung fragen: Was, wo und bei wem liegt sie, wie kann man sie denken und was kann sie leisten? Und weiter: Wie lässt sich das Neue denken, wenn es nicht in das Schema eines ›weiter‹ Fortschreitens von aktuellen Entwicklungen oder als monumentale Um- und Abkehr gefasst werden kann? Was sind die politischen, epistemologischen oder moralischen Implikationen von Momenten einer Krise, die nicht immer schon Teil der großen Narrative von Fortschritt und Umkehr sind? Wie kann der »Impuls der Rettung« neue Wege des Denkens oder Handelns eröffnen? Welche Zeitverhältnisse und Zeitformen sind hier impliziert, was bedeutet Hoffnung für Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart? Denn für Benjamin betrifft das »Neue« der neuen Aufgabe und Lösung keineswegs nur die Gegenwart, die Zukunft oder die Utopie, sondern manifestiert sich auch in der »Schlüsselgewalt« des revolutionären Augenblicks über ein »bestimmtes, bis dahin verschlossenes Gemach der Vergangenheit«. In der historischen Arbeit, ja, auch in der Arbeit an Benjamin kommt es darauf an, »im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen«. Wie kann man dementsprechend Benjamin selbst neu lesen? Wenn die Hoffnung in jener Notiz darin besteht, den Moment für die Möglichkeit zu öffnen, dann sollten wir sie nicht aufgeben.
 
 
Abb. oben: Walter Benjamin, Ausschnitt aus Berliner Kindheit um neunzehnhundert. AdK, Berlin, WBA 363/12
© Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur

Programm

Donnerstag, 4.11.2021

10.00–10.30

  • Jürgen Renn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte (Berlin): Begrüßung
  • Sigrid Weigel, Ehrenpräsidentin der IWBS: Begrüßung
  • Maria Teresa Costa (Berlin), Pola Groß (Berlin), Ursula Marx (Berlin), Daniel Weidner (Halle): Begrüßung und Vorstellung der Sektionen

10.30–12.00 Parallelsektionen

Rescuing Critique / Rettende Kritik (Chair: Pola Groß, Berlin; Falko Schmieder, Berlin)

  • Bernhard Stricker (Dresden): Geistesgegenwart. Benjamin liest Hebel
  • Yanik Avila (Erfurt/Berlin): Das Mysterium der Hoffnung. Erzähltheorien in Benjamins Wahlverwandtschaften-Aufsatz und in Thomas Manns Joseph-Romanen

Re-Reading / Relektüren (Chair: Ursula Marx, Berlin; Martin Mettin, Berlin)

  • Antje-Kathrin Mettin (Leipzig): Von der messianischen Kraft des Erzählens
  • Jaime Cuenca Amigo (Bilbao): Self-Quotations and Pseudonyms. Invisible Traces in The Author as Producer
  • Troels Andersen (Berlin): Philosophie der Jugend

13.30–15.00 Parallelsektionen

Utopia and Messianism / Utopie und Messianismus (Chair: Ilit Ferber, Tel Aviv; Gabriele Guerra, Rom)

  • Clemens-Carl Härle (Siena): Hoffen auf, hoffen für
  • Charlotte Trottier (Leipzig): Benjamins Begriff der Hoffnung und eine messianische Philosophie der Zeitlichkeit
  • Monika Tokarzewska (Toruń): »Dann sind wir auf der Erde erwartet worden.« Hoffnung als Anspruch bei Walter Benjamin

Re-Reading / Relektüren

  • Holger Brohm (Berlin): Die Legende vom Maler, der in seinem Bild verschwindet. Ein Kapitel zu Walter Benjamins Konzeption des Mimetischen
  • Erdmut Wizisla (Berlin): Vom Widersinn des Hoffens. ›Hoffnung‹ im Kafka-Essay
  • Jeanne Marie Gagnebin (São Paulo): Hoffnung: klein

15.30–17.00 Parallelsektionen

Utopia and Messianism / Utopie und Messianismus

  • Caroline Sauter (Frankfurt a.M.): »Hope Passed Like a Falling Star«: Death and Love in Benjamin’s Goethe’s Elective Affinities and Rosenzweig’s Star of Redemption
  • John Vanderheide (Ontario): The Allegory of Apokatastasis, or Benjamin’s Heresy of Hope
  • Freddie Rokem (Jerusalem / Chicago): The Beggar’s Wish

Recuing Critique / Rettende Kritik

  • Christine Blättler (Kiel): Wider die Rechtfertigung der Siegergeschichte. Zu Benjamins rettender Kritik des Fortschrittsbegriffs
  • Francisco Naishtat (Buenos Aires): Revisiting the Benjaminian Figure of »Hope in the Past« through the Constellation between Natural History (Naturgeschichte) and History (Geschichte)
  • Frank Voigt (Atlanta): Keine Historisierung? Benjamins ›Rettende Kritik‹ und ihr Verhältnis zur Geschichte

17.15–18.30 Mitgliederversammlung der International Walter Benjamin Society

 

Freitag, 5.11.2021

10.00–11.00 Keynote

  • Andrew Benjamin (Sydney / Melbourne): Hopes: Place Making and Space Creating in Walter Benjamin

11.30–13.00 Parallelsektionen

Utopia and Messianism / Utopie und Messianismus

  • Johannes Waßmer (Osaka): ›Phantasie‹ und ›Entstaltung‹. Zum Verhältnis von Ästhetik, Messianismus und Hoffnung im Denken Walter Benjamins
  • Javier Toscano (Berlin): Awakening: a Politico-Existential Understanding of Messianism. On Walter Benjamin’s Project for a New Mankind
  • Hyun Höchsmann (Shanghai): ›Comme l’Espérance est violante‹ – Hope and Utopia in Benjamin, Bloch, and Adorno

Architecture, Environment, Natural History / Architektur, Umwelt, Naturgeschichte (Chair: Maria Teresa Costa, Berlin; Toni Hildebrandt, Bern)

  • Maria Filomena Molder (Lissabon): Spes and Natural History
  • Giovanbattista Tusa (Lissabon): A Cosmic Experience. Walter Benjamin in the Anthropocene
  • Benjamin Fellmann (Hamburg): Die straßenerprobte Dialektik des Blicks. Porosität, Aura und Museumsreflexion in Paris bei Walter Benjamin und Georges Salles, 1937, 1939, 1940

14.30–16.00 Parallelsektionen

Construction / Konstruktion (Chair: Carolin Duttlinger, Oxford; Daniel Weidner, Halle)

  • Gerhard Richter (Providence): Modes of Survival: Mourning – World – Artwork
  • Michael Powers (St. Paul, Minnesota): Esperanto: Scheerbart’s Stellar Language and Utopian Thought
  • Young-Ryong Kim (Seoul): ›Der Gesang der Karyatiden‹ – Die Heterotopie der Hoffnung und die Loggia Walter Benjamins

Rescuing Critique / Rettende Kritik

  • Simon Godart (Berlin): Hoffnung und Telescopage
  • Manuela Sampaio de Mattos (Porto Alegre): Could Walter Benjamin’s Unconscious of the Collective be Read as Postcolonial?

16.30–18.00 Parallelsektionen

Interventionist Thinking / Eingreifendes Denken (Chair: Jörg Kreienbrock, Evanston; Nassima Sahraoui, Frankfurt)

  • Marina Montanelli (Florence): Das Jetzt der Wiederholbarkeit
  • Dirk Brauner (Frankfurt (Oder)): Windrose des Erfolges: Idiosynkrasien bei Walter Benjamin
  • Rose Gurski, Cláudia Perrone, Miriam Rosa Debieux (São Paulo): Benjamin, Freud, Politics and Dreams: Oniropolitics as a Form of Hope

Architecture, Environment, Natural History / Architektur, Umwelt, Naturgeschichte

  • Gerhard Wolf (Florenz): Drei, vier Stühle: Benjamin und die Schwelle der Bilder
  • M. Ty (Madison): Species Abolition
  • Noa Levin (Berlin): Environmental Eros: Un-Paving Benjamin’s One-Way Street

19.00–20.30 Abendveranstaltung

  • Vortrag von Emanuele Coccia: Planetary Home Theory. Domestic Space and the Anthropocene
    Chair: Jürgen Renn
    Begrüßung: Erdmut Wizisla

 

Samstag, 6.11.2021

10.00–11.00 Keynote

  • Eva Geulen (Berlin): Hope and the Lessons of Experience

11.30–13.00 Parallelsektionen

Construction / Konstruktion

  • Federica Murè (London): Konstruktion als Komposition: Walter Benjamin’s »Thoroughly-Composed« Gesture
  • Jean-Baptiste Ghins (Paris): Walter Benjamin and Le Corbusier. Is there Something like a Benjaminian Technological Utopia?
  • Mariana Pinto dos Santos (Lissabon): The Fugitive Symptom of Civilization: the Implications of »Primitivism« in Benjamin’s Modernity

Interventionist Thinking / Eingreifendes Denken

  • Sabine Schiller-Lerg (Münster): Hoffnungsträger Rundfunk. Walter Benjamins Konzept für eine populäre Wissenschaft
  • Antonio Roselli (Magdeburg): Von der Glaskonstruktion zum Kinosaal: Über die räumlichen Bedingungen einer kollektiven (Selbst-)Wahrnehmung des Kollektivs
  • Ori Rotlevy (Tel Aviv): The Text as Barricade? On Mimetic Relations Between Theory and Praxis

14.00–15.30 Parallelsektionen

Interventionist Thinking / Eingreifendes Denken

  • Sebastian Kugler (Wien): Eine Ahnung von Revolution. Benjamin und Trotzki
  • Robert Krause (Freiburg): Hoffnung auf Muße. Benjamin und Fourier als Vordenker des Bedingungslosen Grundeinkommens
  • Anna Migliorini (Florence): Critique and Task: Towards the »Real State of Exception«

Architecture, Environment, Natural History / Architektur, Umwelt, Naturgeschichte

  • Milena Massalongo (Mantova): Wetten auf radikale Exposition. Benjamins »Ausstellungswert«
  • Peter J. Schneemann (Bern): Spuren einer vergangenen Zukunft. Temporalitäten der zeitgenössischen Kunst in der Auseinandersetzung mit der Umwelt
  • Filmscreening und Artist Talk: Chantal Benjamin, Lais Benjamin Campos, Aura Rosenberg und Frances Scholz diskutieren mit Maria Teresa Costa und Toni Hildebrandt

16.00–17.30 Parallelsektionen

Construction / Konstruktion

  • Sophia Buck (Oxford): The Hope for New (De)Colonial Politics of the Visible. Walter Benjamin between the French and the (Soviet)Russian Practices of Imperialism
  • Sophia Ebert (Mainz): Benjamin als Mitarbeiter

Re-Reading / Relektüren

  • Ghilad H. Shenhav (Tel Aviv/Potsdam): On Language as such and the Language of Eve: Benjamin’s Interpretation of Genesis 2-3 Reconsidered
  • Theo Machado Fellows (Manaus): Die Hoffnung und das Ausdruckslose: Die paradoxale Erscheinung des Göttlichen
  • Christopher Johnson (Tempe, Arizona): ›Ursprung‹ and ›Umschwung‹: Benjamin’s Critical Paradigm

17.30 Ausgang

18.00–19.00 Abendveranstaltung

  • Klavierkonzert: Samuel Draper (London)

 

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Informationen zu den einzelnen Sektionen

Medienecho

07.11.2021
Passagen der Hoffnung

Rezension von Hans von Seggern, in: Tagesspiegel vom 7.11.2021