Kleider und Affekte. Ungleichzeitigkeiten der europäischen Moderne
Programm
Aktuelle Debatten zu Konflikten im Prozess der 'Europäisierung' nehmen vielfach Bezug auf Kleider- und Affektordnungen, deren kulturelle Semantiken sich erst vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Ost-West-Differenz entfalten. Kleidung kann dabei zu einer Chiffre für Modernisierung oder Rückständigkeit, Säkularisierung oder Religiosität, Provinzialität oder Urbanität werden. Der vielzitierte Kopftuchstreit stellt nur ein Beispiel dieser brisanten Gemengelage dar. Solche Chiffrierungen sind zumeist weniger Resultate bewusster diskursiver Vermittlung als Effekte emotionaler Schematisierung. So werden unterschiedliche Manifestationen von Affekten wie etwa pathosgeladene Rituale öffentlicher Trauer und Inszenierungen von (männlicher) Ehre wechselseitig entweder als rückständig oder aber als fortschrittsbedingtes kulturelles Defizit bewertet.
Vor diesem Hintergrund untersucht das Symposium einige signifikante Praktiken im Umgang mit Kleidern und Affekten – insbesondere in osteuropäischen Kulturen – als Indikatoren von aktuellen wie historischen Bruchstellen in der europäischen Geschichte mit ihren verschiedenen Modernen. Kleider- und Affektordnungen bzw. deren Rhetoriken werden dabei als kulturell spezifische Modi verstanden. Deren Analyse schärft somit den Blick nicht nur für inter- und transkulturelle Entwicklungen, sondern auch für die Wahrnehmung von Ungleichzeitigkeiten innerhalb von Kulturen.
Das Symposium untersucht die kulturelle Semantik von Kleidern (wie z.B. Fez, Schleier, Bart) und Affekten (Angst, Ehre, Feindschaft, Melancholie, Trauer) und bietet damit die Gelegenheit, auch den Zusammenhang und die Wechselbeziehung zwischen Dresscodes und Gefühlsgeboten und -verboten zu thematisieren. Es wird u.a. um folgende Fragen gehen: Können Kleiderordnungen – wie z.B. die Petrinische oder die Atatürksche Kleiderreform – als verordnete Modernisierungsinstrumente gedeutet werden? Lassen sich Affektordnungen als Indikatoren von Resistenz gegen forcierte Transformation verstehen? Wie gestaltet sich der reziproke Zusammenhang zwischen Kleidern und Affekten? In welcher Weise können Kleider der Affektunterdrückung bzw. -verstärkung dienen?
Freitag, 23.1.2009
11.00
Sigrid Weigel (Berlin)
Begrüßung und Einführung
I. Topographie und Ökonomie der Affekte
Moderation: Esther Kilchmann (Berlin)
11.30 Uhr
Kader Konuk (Univ. of Michigan)
Melancholie/Hüzün in Orhan Pamuks Erinnerungen an Istanbul
Janis Augsburger (ZfL)
Historische Melancholie. Das Nicht-Mehr des Noch-Nicht
I. Topographie und Ökonomie der Affekte (Fortsetzung)
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)
14.00 Uhr
Esther Kilchmann (ZfL)
Landschaften und Affekte. Reisen von West nach Ost
Ines Weinrich (Beirut)
Wiener Blut und Arabische Nächte. Kulturelle Chiffren in der ägyptischen Musikkultur im frühen 20. Jahrhundert
16.00 Uhr
Andreas Pflitsch (ZfL/Bamberg)
Zum Teufel mit Meryl Streep! Zu Scham und Mannesehre im Libanon
Miranda Jakiša (HU Berlin)
Hysteroide Stressgemeinschaften. Emir Kusturicas Serbien
19.00 Filmvorführung
Nino Kirtadze (Paris): "Dites à mes amis que je suis mort" (F 2004, 86 min.)
In Anwesenheit der Regisseurin
Samstag, 24.1.2009
II. Trauerrituale
Moderation: Martin Treml (ZfL)
10.00 Uhr
Sigrid Weigel (ZfL)
Polis und Trauer
Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)
Russische Trauerszenen
12.00 Uhr
Zaal Andronikashvili (ZfL)
Trauer feiern: Öffentliche Beerdigungen in Georgien zwischen Ritual und Farce
Thomas Macho (HU Berlin)
Mit oder ohne Schuhe? Konventionen der Totenkleidung
III. Körpermarkierungen
Moderation: Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)
14.30 Uhr
Tatjana Petzer (ZfL): Kreuztätowierungen in Bosnien. Vom Ritus des Bekenntnisses zum Signum der Bestrafung
Thomas Lentes (Münster)
Markieren des Körpers – Markieren des Gewandes. Religionsgeschichtliche Bemerkungen im Anschluss an Erik Petersons "Theologie des Gewandes"
IV. Kleiderpraktiken
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)
16.30 Uhr
Janis Augsburger/ Tatjana Petzer/ Helen Przibilla (ZfL)
Codierungen des Antlitzes. Präsentation zu Schleier, Bart, Fez
Elke Hartmann (FU Berlin)
Kleiderordnungen in Räumen multipler Identitäten: Ostanatolien im 19. Jahrhundert
18.30 Uhr
Dagmar Burkhart (Mannheim)
Vestimentärer Code und Ehre: Signalements gesellschaftlicher Skalierung in der russischen Literatur
Dmitri Zakharine (Konstanz)
Affektierte Männlichkeit. Maskuline Kleidercodes im Osten Europas