Chor-Denken 2
25.09.2021 · 19.00 Uhr

Sebastian Kirsch und Evelyn Annuß: Chor und Technik

Ort: Vierte Welt, Adalbertstr. 4, Galerie 1.OG, 10999 Berlin / ggf. Livestream

Veranstaltung in der Reihe »Chor-Denken« im Rahmen des Festivals 10 Jahre Vierte Welt

Wenn man […] die Lehre der Antike in aller Kürze, auf einem Beine fußend, auszusprechen hätte, der Satz müßte lauten: »Denen allein wird die Erde gehören, die aus den Kräften des Kosmos leben.«

(Walter Benjamin, »Zum Planetarium«)

Der zweite »Chor-Denken«-Teil fragt nach dem Verhältnis von chorischen Praktiken und technik- wie mediengeschichtlichen Zusammenhängen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass schon im frühen 20. Jahrhundert ein erneuertes Interesse am Chor als einer Instanz antiken Umgebungswissens mit dem gleichzeitigen Durchbruch neuartiger »Umgebungs-Techniken« resonierte: das heißt von Techniken, die in bislang nicht gekanntem Maß artifizielle Umweltbedingungen an die Stelle eigenaktiver und darum traditionell als »natürlich« angesehener Umweltprozesse treten ließen. Deutlich wird das etwa in der Rede von der planetarischen Technik, wie Walter Benjamin sie 1929 am Ersten Weltkrieg als eines »Versuch(s) zu neuer, nie erhörter Vermählung mit den kosmischen Gewalten« erläuterte: »Menschenmassen, Gase, elektrische Kräfte wurden ins freie Feld geworfen, Hochfrequenzströme durchfuhren die Landschaft, neue Gestirne gingen am Himmel auf, Luftraum und Meerestiefen brausten von Propellern, und allenthalben grub man Opferschächte in die Muttererde.«

Für die spätere Entwicklung hingegen ist an dieser Stelle an die umweltlichen Steuerungsparadigmen zu denken, die zunächst in der Kybernetik der Nachkriegszeit formuliert wurden und die heute in der »kontrollgesellschaftlichen« (Deleuze) Einbettung noch der alltäglichsten Vorgänge in rechenintensive künstliche Environments gemündet sind. Wie stellt sich darum die Frage des Chores im Licht unserer hyperkonnektiven Gegenwart dar? Wie verhalten sich chorische Praktiken zu netzwerkbasierten Formen des Regierens, die man – in Erweiterung einer Notiz Foucaults von 1979 – als »environmental« bezeichnen kann? Und wie lassen sich vor diesem Hintergrund Parallelen und Differenzen zwischen planetarischem 20. und kontrollgesellschaftlichem 21. Jahrhundert beschreiben?

Der Theaterwissenschaftler Sebastian Kirsch ist Feodor Lynen-Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung mit dem Projekt Umgebungswissen der Theatermoderne. Milieu – Umwelt – Environment / Hauptmann – Appia – Kiesler.

Evelyn Annuß ist Theaterwissenschaftlerin und Professorin für Gender Studies an der mdw Wien. Ihre Studie Volksschule des Theaters (2019) zeichnet Besetzungen des Chores im Thing-Spiel und in nationalsozialistischen Masseninszenierungen nach.

Programm

Weitere Veranstaltungen in der Reihe »Chor-Denken«

Dienstag, 22.6.2021, 19.00

Sonntag, 17.10.2021, 19.00