Chor-Denken 3
17.10.2021 · 19.00 Uhr

Sebastian Kirsch und Ulrike Haß: Chor und Sorge

Ort: Vierte Welt, Adalbertstr. 4, Galerie 1.OG, 10999 Berlin / Livestream

Veranstaltung in der Reihe »Chor-Denken« im Rahmen des Festivals 10 Jahre Vierte Welt

Der Chor ist älter als die Tragödie und kommt von woanders her. In den überlieferten Stücken des 5. Jahrhunderts erscheint er immer wieder als Träger eines vielfältigen Umgebungswissens. Als Vielfältiges ist dieses Wissen notwendig uneinheitlich und nicht auf einen Nenner zu bringen: Es ist nicht auf ein großes (protagonistisches) Ego fokussiert, sondern bringt stattdessen die vielen, verzweigten und ihrerseits wieder in unabsehbaren Bezügen stehenden Anfänge zum Ausdruck, in denen sich Prozesse der Ich-Bildung allererst vollziehen können. Das chorische Wissen ist mithin ein Wissen der unabsehbaren umweltlichen Verflochtenheiten, ein Wissen darum, dass wir »Umwelt nicht haben, sondern Umwelt sind« (Ulrike Haß).

Das dritte Gespräch der »Chor-Denken«-Reihe fragt nach möglichen Zusammenhängen zwischen diesem chorischen Umgebungswissen und den philosophischen Bemühungen um den Begriff der ›Sorge‹ (epimeleia), die im ausgehenden 5. Jahrhundert einsetzten (und die Michel Foucault zum zentralen Gegenstand seiner letzten Arbeiten machte). Unser Gespräch gilt wirklich verblüffenden Analogien zwischen Chor und Sorge: Auch in den Sorge-Philosophien der Kyniker, der Epikuräer und der Stoiker geht es immer wieder um die Einbettung des Einzelwesens in vorgängige Relationen, die häufig kosmologisch gedacht werden und die sich nicht genealogisch binden lassen. In ihren (lebens-)praktischen Übungen berufen sich Sorge-Schulen oft auf »uralte Praktiken« (Foucault), die weit vor schriftkulturelle Überlieferungen zurückweisen – etwa auf asketische Übungen mit kathartischer Wirkung. Ähnlich wie der Chor ins Theater, geht darum auch die Sorge als weitaus älteres, disparates Element in die Philosophie ein. Und in beiden Fällen kann man beobachten, dass dieses ältere Element ab einem gewissen Zeitpunkt für ephemer gehalten wird, um dann aus expliziten Selbstbeschreibungen und Programmatiken schlicht zu verschwinden. Was lässt sich vor diesem Hintergrund über eine gemeinsame Geschichte von Chor und Sorge sagen? Und wie stellt sich diese im Licht aktueller Verwendungen des Sorge-Begriffs dar, der in seiner anglifizierten Variante als »Care« Konjunktur hat?

Der Eintritt ist frei. Für den Zutritt gilt die 3G-Regel.

weitere Informationen auf der Veranstaltungswebsite

Der Theaterwissenschaftler Sebastian Kirsch ist Feodor Lynen-Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung mit dem Projekt Umgebungswissen der Theatermoderne. Milieu – Umwelt – Environment / Hauptmann – Appia – Kiesler.

Ulrike Haß lehrte bis Herbst 2016 Theaterwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris und Frankfurt a.M. inne. Anfang 2021 ist ihr Buch Kraftfeld Chor erschienen.

Programm

Weitere Veranstaltungen in der Reihe »Chor-Denken«

Dienstag, 22.6.2021, 19.00

Samstag, 25.9.2021, 19.00