Internationales Symposium
05.02.2009 – 07.02.2009 · 01.00 Uhr

Überleben. Ein neues Paradigma der Kulturwissenschaften?

Ort: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, Clubräume
Organisiert von Falko Schmieder, Hermann Haarmann (IKK)
Kontakt: Falko Schmieder, Marcus Laugsch,

Programm

Veranstaltet vom Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin (IKK) in Kooperation mit der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin und dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL)

Leitung und Moderation:
Hermann Haarmann (IKK), Falko Schmieder (IKK/ZfL)

Das 20. Jahrhundert ist als katastrophales Jahrhundert bezeichnet worden, dessen schrecklichste Zäsur der Zivilisationsbruch (Dan Diner) von Auschwitz markiert. Seit diesem Geschichtsbruch ist das Bewusstsein lebendig geblieben, dass die Bedingungen, die Auschwitz hervorgebracht haben, keineswegs vollständig aufgehoben sind. In jüngster Zeit hat Giorgio Agamben die provozierende These vertreten, dass die Lager nicht als historische Tatsache zu betrachten sind, sondern als „versteckte Matrix des politischen Raumes, indem wir immer noch leben.“ In den daran anknüpfenden Diskussionen ist jedenfalls deutlich geworden, dass die Neue Weltordnung nicht das Ende der Geschichte oder der Ideologien markiert; vielmehr steht sie vor immensen Herausforderungen, wobei gegenwärtig unklar ist, wie ihnen begegnet werden kann. Exemplarisch hierfür ist die Problematik der Ökologie, von der immer häufiger gesagt wird, dass sie zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gehört. Unbestritten dürfte sein, dass sich mit ihr die Frage nach den ,Überlebensbedingungen der Menschheit’ in einer historisch neuen Weise stellt. Sichtbar wird das daran, dass die universelle Gefährdung der Gattung heute nicht mehr nur an das Thema des Krieges oder an einzelne gefährliche Technologien, sondern an die herrschende Form ihrer ökonomischen Reproduktion gebunden ist. – Es dürfte mit diesem Wechsel der Sicht auf die Ursachen der Gefährdung des Lebens zusammenhängen, dass seit einiger Zeit auf den unterschiedlichsten Feldern das Konzept des Überlebens zum Einsatz gelangt. Ein Ziel des Symposions besteht darin, diesem Wandel, der sich provisorisch als Übergang von einer anthropologischen ,Philosophie des Lebens’ zu einer anthropofugalen ,Philosophie des Überlebens’ begreifen lässt, anhand exemplarischer Fallstudien genauer nachzuspüren. Darüber hinaus soll es um das Nachleben der Shoah und um die Frage nach dem Zusammenhang der verschiedenen Überlebensbegriffe gehen.

Donnerstag, 5. Februar 2009, 14.00-19.00

  • Hermann Haarmann, Falko Schmieder (Berlin): Begrüßung und Einführung

I. Trauma und Geschichte

  • Detlev Claussen (Hannover): Das Nachleben von Auschwitz
  • Gerhard Scheit (Wien): „Nach Weltuntergang“. Positionen Kritischer Theorie nach Auschwitz
  • Christine Kirchhoff (Berlin): Das Überleben des Traumas. Nachträglichkeit, Subjekt und Geschichte bei Freud
  • Christina Pareigis (Berlin): Witz als Strategie zum Überleben. Über die Zusammenhänge von Humor und jüdischer religiöser Überlieferung

Freitag, 6. Februar 2009, 10.00-13.00

II. Zeugenschaften

  • Christoph Hesse (Berlin): Zeugenschaft der Toten. Über einen Bericht der Nichtüberlebenden von Claude Lanzmann
  • Fabian Kettner (Köln): Empathie und Erfahrung. Zur Kontroverse zwischen Bettelheim und Des Pres über die Überlebenden des Lagers
  • Franziska Thun-Hohenstein (Berlin): Das Überleben schreiben. Varlam Šalamow, Jorge Semprun, Alexander Solženicyn

Freitag, 6. Februar 2009, 15.00-19.00

III. Kulturen des Überlebens

  • Thomas Macho (Berlin): Der Macbeth-Komplex. Die Sucht des Überlebens
  • Erik Porath (Berlin): Überlebende und Überlebte. Zwischen Unsterblichkeitswunsch und Vergänglichkeit bei Freud und Canetti
  • Philipp Sarasin (Zürich): Der Tod als Diskontinuität. Foucault liest Darwin
  • Ulrike Vedder (Berlin): Testamentarisches Schreiben: Souveränität und Nachleben

Samstag, 7. Februar 2009, 10.00-18.00

IV. Überlebensformen

  • Eva Geulen (Bonn): Biopolitik und Überleben bei Giorgio Agamben
  • Detlev Schöttker (Dresden): Heiterkeit und Überlebenswille. Von Nietzsche zu Jünger
  • Andreas Hiepko (Berlin): Posthistorische Existenzen. Überlebensformen bei Kojève und Agamben
  • Rüdiger Zill (Potsdam): Distanznahmen. Figuren des Überlebens bei Hans Blumenberg
  • Lisa Regazzoni (Frankfurt a.M.): Überleben in der Rezeption - Untergehen in der Geschichte. Reflexionen über Hans Blumenberg und Primo Levi
  • Christoph Wulf (Berlin): Frieden, kulturelle Diversität und Nachhaltigkeit als Überlebensbedingungen der Menschheit

Medienecho

09.06.2011
Nichts ist wirklich außer dem Lager

Rezension von Cord Riechelmann, in: Jungle World vom 9.6.2011

07.02.2009
Überleben

»Überleben« als neues Paradigma der Kultur- und Sozialwissenschaften – Eine Tagung in Berlin. Arno Orzessek im Gespräch, in: Deutschlandfunk, Sendung: Kultur heute vom 7.2.2009

Publikationen

Falko Schmieder (Hg.)

Überleben
Historische und aktuelle Konstellationen

Trajekte-Buchreihe
Wilhelm Fink Verlag, München 2011, 439 Seiten
ISBN 978-3-7705-4997-9