Symposium
15.06.2012 – 16.06.2012

Von Trauer zu Triumph. Praktiken einer sowjetischen Éducation sentimentale im kulturellen Vergleich

Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Seminarraum 303
ZfL-Projekt(e): Das europäische Subjekt

Programm

(Stand: 21.05.2012)

Freitag, 15.06.2012
09.30
Franziska Thun-Hohenstein/Zaal Andronikashvili (ZfL): Begrüßung und Einführung

10.00–11.00
Martin Treml (ZfL): Mänade, Medea, Magdalena. Weibliche Formen von Triumph und Trauer im Denken Aby Warburgs

11.30–13.30
Elena Vogman (Berlin): Pathos und Geste. Film als Dimension archaischer Erfahrung bei Sergej Eisenstein

Frithjof Benjamin Schenk (Basel): Trauer und Triumph im Historienfilm S. Eisensteins

15.00–16.00
Thomas Macho (HU Berlin): Trauer und Erlösung im Werk von Andrej Tarkovskij

16.15–18.15
Franziska Thun-Hohenstein (ZfL): Triumph trotz Trauer. Zum Phänomen einer »Optimistischen Tragödie«

Zaal Andronikashvili (ZfL): Die Trauer der Väter

Samstag, 16.06.2012
10.00–12.00
Katharina Stadler (Tbilissi): Im Umbruch. Wenn Macht und Musik um Form ringen (am Beispiel sowjetgeorgischer Musik)

Dorothea Redepenning (Heidelberg): Musik zu den Siegesfeiern 1945

12.30–13.30
Sigrid Weigel (ZfL): Trauer und compassio

15.00–17.00
Claude Haas (ZfL): Verordnete Trauer. Überlegungen zum ›Unbekannten Soldaten‹

Daniel Weiss (Zürich): Trauer um den verstorbenen Führer. Sowjetische und polnische Nachrufe auf Stalin

17.15
Schamma Schahadat (Tübingen): »Der Mensch kam und siegte«. Die Kanalisierung der Gefühle durch die Bauprojekte des Stalinismus

Michail Ryklin (Moskau/Berlin): »Das Leben ist besser, fröhlicher geworden«. Räume des Jubels revisited

 

Die Sowjetgesellschaft verstand und inszenierte sich als eine emotional homogene Gemeinschaft. Zur kulturellen Arbeit am ›sowjetischen Subjekt‹ gehörte eine systematische Steuerung emotionaler Energien, die insbesondere mit der Etablierung des stalinistischen Systems Ende der 1920er Jahre einsetzte. Diese sowjetische Form einer Éducation sentimentale ist nach wie vor weitgehend unerforscht.
In Sergej Eisensteins Film Panzerkreuzer Potemkin (1925) über den revolutionären Aufstand von 1905 wird, wie G. Didi-Huberman herausgearbeitet hat, Schmerz in Wut und Revolte transformiert. Der späteren offiziellen Sowjetkultur, vor allem seit der Annahme der sogenannten stalinschen Verfassung (1936), die den Sieg des Sozialismus in der UdSSR proklamierte, ging es demgegenüber um die Konvertierung von Trauer zu bewusstem Triumph und Freude über das Erreichte auf dem Weg in die »lichte Zukunft« des Kommunismus. Selbst Trauer und Schmerz um die im Zweiten Weltkrieg (dem Großen Vaterländischen Krieg) Gefallenen wurden durch vorgeprägte Pathosformeln des Triumphs, des Heroismus und des Stolzes überblendet. Das fand seinen Ausdruck in verschiedenen »Räumen des Jubels« (M. Ryklin), in den Massendemonstrationen und Paraden ebenso wie in der Architektur, im Film, in der Literatur oder im Genre des Massenliedes. Die Kehrseite war die Erziehung des »Sowjetmenschen« zur Unduldsamkeit und zum Hass gegen die angeblichen »Feinde des Volkes«, die in Schauprozessen öffentlich gebrandmarkt und zum Tode verurteilt wurden.

Das Symposium bietet Gelegenheit, u.a. folgende Fragen zu diskutieren:
Welche Kriterien und Grundsätze waren ausschlaggebend für den Ein- bzw. Ausschluss bestimmter Gefühle aus der sowjetischen Gefühlsökonomie?
Mit welchen Operationen wurden die als ›sowjetisch‹ definierten Gefühle vermittelt, erzogen, praktiziert, repräsentiert?
Wie ging der Einzelne in autobiographischen Selbstzeugnissen mit sich selbst um, angesichts einer Kultur, die sich nach außen (im Bereich des öffentlich Sichtbaren) mit Triumph, Jubel, Glück, Optimismus gleichsetzt?
Inwieweit hatte die intendierte Ökonomie der Gefühle, wie M. Ryklin im Anschluss an A. Gide formuliert, einen »Effekt des Jubels« zur Folge, der mit einem Verzicht auf das Recht »zur Hingabe an spontane Affektregungen« verbunden war?
Die Konvertierungsprozesse von Trauer zu Triumph in der sowjetischen Kultur sollen zugleich Ausgangspunkt sein, um in einer europäisch-vergleichenden Perspektive unterschiedliche historische oder auch religionskulturelle Konstellationen und Dimensionen in die Diskussionen einzubeziehen. Das betrifft etwa die Verwandlung von Passio (Leiden) in Leidenschaft in der christlichen Geschichte, die Überführung von Schrecken in Schönheit in der Geschichte der Ästhetik oder gesamteuropäische Trauerrituale und Strategien der Heroisierung.

Veranstaltung zum ZfL-Semesterthema: Vom Nachleben der Religion(en) im Wintersemester 2011/2012