EUROPA. Aufschreibesysteme aus Codes, Medien und Künsten 15.–18. Jahrhundert

Das Projekt untersuchte an ausgewählten Aktionszentren den konstitutiven Charakter der Künste bei der Herausbildung eines europäischen Kulturraums, der als ein Aufschreibesystem aus Codes, Medien und Künsten von der Renaissance bis zum Beginn der Nationalstaatenära beschrieben wurde.

Ausgangspunkt des Projekts war daher nicht eine geographische, politik- oder wirtschaftshistorische Bestimmung Europas, sondern ein »Europa«, das sich im Ausgang des Mittelalters als eigentümliches Verwaltungs- und Mediendispositiv konstituiert und sich dabei auf unterschiedliche Weisen gegen das alte Paradigma von sacerdotium und imperium absetzt. Damit wird reflektiert, daß die Heranziehung von Makro-Subjekten wie ›das rationalistische Denken‹, ›die Ökonomie‹, ›die Gesellschaft‹ zur Erklärung dessen, was das Spezifische der europäischen Kultur ist, offenbar nicht mehr ausreicht. Ziel ist insofern, einen in der Literaturwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte und Medientheorie erreichten theoretischen Stand der Überlegungen zu einer Geschichte des Wissens für die Frage nach Europa fruchtbar zu machen.

Dies geschah in Form von ausgewählten Fallstudien, die den methodisch neuartigen Zugang erproben und zur Diskussion stellen. Dabei wurde die Entstehung dieses Verwaltungsdispositivs zwischen dem Beginn der Neuzeit (Entdeckungsreisen) und dem Ende des 18. Jahrhunderts (Beginn der Nationalstaatenära) mit seinen Produktionsformen von Wissen, mit seinen Übertragungs- und Speichermedien, mit seinen Repräsentationstechniken sowie mit seinen Codes und Algorithmen in drei paradigmatischen Schritten verfolgt:

  1. Ausgangspunkt waren Florenz, Sevilla und Wien als drei Aktionszentren der Renaissance, an denen fundamentale Sachverhalte sichtbar gemacht werden können, die eine eigentümliche Existenz und Ordnung der Dinge als ›Europa‹ und nicht zuletzt als Machtdispositiv des sogenannten Eurozentrismus begründen.
  2. Die Transformation dieser Wissensordnung wurden im 17. Jh. in den Niederlanden untersucht, die als Drehscheibe europäischer Aktivitäten gelten können.
  3. Wurden die Austauschprozesse von wissenschaftlichem, technischem und künstlerischem Wissen im 18. Jahrhundert verfolgt, die sich auf der Ebene von Akademien und Cameralwissenschaften vor allem in Frankreich und Deutschland ergeben.

Als zentrale Problemstellung verfolgte das Projekt dabei anhand von exemplarischen Einzelanalysen die These, daß Künste – hier vor allem Literatur, Theater, Architektur, Malerei ‹ Schnittstellen besetzen und damit Indiziencharakter haben für eine Geschichte des Wissens, der Medien, Kriege und Verwaltungsmächte, die Europa möglich gemacht haben. Das Projekt hatte daher Pilotcharakter für einen in methodologischer Hinsicht bisher von seiten der Literaturwissenschaft als auch von den Geschichtswissenschaften und der Kulturgeschichtsschreibung nicht ausreichend vertretenen Gattungs-, Disziplinen- wie Gegenstandsgrenzen überschreitenden Ansatz.

In dieser Hinsicht waren die Einzelstudien nicht Teile einer kontinuierlich zu erzählenden Geschichte zwischen 1400 und 1800, sondern verstehen sich als exemplarische Erprobung einer mediengeschichtlichen Vermittlung von künstlerischen und außerkünstlerischen Praktiken.

gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2000–2002
Leitung: Sandrina Khaled-Lustig, Friedrich Kittler †, Hans-Christian von Hermann, Ko-Leitung: Bernhard Siegert