Text- und Religionskulturen
Das Projekt untersuchte das Nachleben religiöser Auslegungs- und Deutungstradition in der Moderne: die Wechselwirkungen zwischen der religiösen Lektüre ›sakraler‹ Texte und der Entwicklung (post-)modernen Literaturtheorien. Der paradigmatische Ort solcher Wechselwirkung im europäischen Kontext ist die Kommentierung und Exegese der Bibel. Leitende Hypothese des Projektes war es, dass sich, auch und gerade nach dem Verlust der Deutungshoheit der Theologien, der Etablierung der Hermeneutik als ›säkularer‹ Wissenschaft und der Ersetzung des religiösen Kanons durch die Literatur, Vorstellungen über Lektüre, Interpretation, Kanon und Bedeutung, die sich traditionell mit Heiligen Texten verbinden, in die Philologie, die (literarische) Hermeneutik, die Literatur- und Texttheorie verschieben und dort fortleben.
Sowohl die Philologien als auch die Theologien sind explizit buchzentrierte, textbasierte und interpretatorische Disziplinen, deren erstes Interesse das Lesen, Verstehen, Auslegen und Übersetzen von Büchern und Schriften darstellt. Als textzentrierte Wissenschaften könnten Exegese wie Literaturwissenschaft, die sich bislang disziplinär stark voneinander abgrenzen, durchaus von einer gegenseitigen Anregung profitieren. Das Projekt zielte auch darauf, den interdisziplinären Dialog der Literatur-, Kultur- und Bibelwissenschaften intensivieren.
Untersuchungsgegenstand des Projekts waren dabei literaturwissenschaftliche und literaturtheoretische Texte sowie Beiträge aus Exegese, Bibelwissenschaft, Theologie und Religionswissenschaft, die sich im 19. und 20. Jahrhundert explizit mit ›Heiligen Texten‹ auseinandersetzen. Dazu gehören beispielsweise Autoren wie etwa Johann Gottfried Herder, Friedrich Schleiermacher, Max Müller, Franz Rosenzweig, Walter Benjamin, Gershom Scholem und Jacques Derrida, sowie Debatten und Diskurse wie die Leben Jesu-Debatte im Vormärz, der jüdisch-christliche Streit um die Prophetie in der Zwischenkriegszeit oder die Debatte über Midrash and Literature. Aber auch Autoren moderner Literatur wie Goethe, Büchner, Kafka, David Grossmann und Patrick Roth konnten aus dieser Perspektive auf fruchtbare Weise neu gelesen werden. Als besonders interessant haben sich dabei Textformen wie Kommentars und Übersetzung erwiesen, in denen sich das Verhältnis von religiösen zu säkularen Lektüren unmittelbar mit der Etablierung der Hermeneutik als wissenschaftlicher Disziplin, der Diskussion um den kulturellen Kanon und der Frage nach der Weltliteratur verschränken.
Abb. oben: Der Talmud, erste Seite des ersten Traktats Berachot (Segenssprüche) in der ersten Ordnung Sera'im (Saatgut) aus dem babylonischen Talmud, Quelle: Wikimedia
Publikationen
Secularism and Hermeneutics
HEILIGE TEXTE IN DER MODERNE
LEKTÜREN, PRAKTIKEN, ADAPTIONEN
Kommentar und Säkularisierung in der Moderne
Vom Umgang mit heiligen und kanonischen Texten
Handbuch Literatur und Religion
Allegorien des Liebens
Liebe – Literatur – Lesen
Yael Almog
- Die Judenbuche and the »Judens-buch«: Hermeneutic Hindrance and Scriptural Reading in Droste-Hülshoff’s Crime Novella, in: The German Quarterly 89.3 (2016), 328–342
- Cognition and the Biblical God: Herder’s Response to Leibniz, in: Beate Allerd (Hg.): Herder: From Cognition to Cultural Science, Heidelberg: Synchron Press 2016, 183–196
- Public Rituals: Politics and Myth in David Grossman’s To the End of the Land, in: Politics and Religion 10.2 (2016), 231–250
- Weltliteratur und Weltreligion: Philologie und die Entdeckung fremder Kulturen um 1800, in: Kritische Ausgabe 28 (2015), 67–72 (mit Caroline Sauter)
- Global Religion, Politics and Aesthetics in the Rise of Hermeneutic Thinking. The University of California in Berkeley 2014 (Dissertation, unveröffentlicht)
- Sublime Readings: The Emergence of the Aesthetic Bible in Herder’s Writings on Hebrew Poetry, in: The Simon Dubnow Institute Yearbook 12 (2013), 337–352
Caroline Sauter
- The Diabolic Logic of logos: Towards a Hermeneutics of Hell in Goethe’s Faust, in: Gregor Thuswaldner, Dan Russ (Hg.): The Hermeneutics of Hell: Visions and Representations of the Devil in World Literature, New York: Palgrave Macmillan 2016
- Engel: Figuren der Sprache, in: Weimarer Beiträge 60.2 (2015), 568–580
- Hebrew, Jewishness, And Love: Translation in Gershom Scholem’s Early Work, in: Naharaim 9.1–2 (2015), 151–178
- The Ghost of the Poet: Lament in Walter Benjamin’s early Theory, Poetry, and Translation, in: Ilit Ferber, Paula Schwebel (Hg.): Lament in Jewish Thought: Philosophical, Theological, and Literary Perspectives. Berlin, New York: de Gruyter 2014, 205–220
- In Babel: Kon(tra)fusion der Sprache in Joyces Finnegans Wake, in Héctor Canal, Maik Neumann, Caroline Sauter, Hans-Joachim Schott (Hg.): Das Heilige (in) der Moderne. Denkfiguren des Sakralen in Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts. Bielefeld: transcript 2013, 255–277
Daniel Weidner
- Jenseits, Umkehr, Heilige Schrift. Erzählen im Zeichen der Rückkehr der Religion, in: Corinna Caduff, Ulrike Vedder (Hg.): Gegenwart schreiben. Zur deutschsprachigen Literatur 2000–2015, Paderborn: Fink 2017, 75–84
- Gleichnisse, Typen, Hieroglyphen, Machtworte. Umschriften der Allegorie in der Bibelexegese des 18. Jahrhunderts, in: Ulla Haselstein (Hg.): Allegorie (DFG Symposion 2014). Berlin: de Gruyter 2016, 158–180
- Der Tod und der Text. Dtn 34 als kulturtheoretische Urszene, in: Paul-Gerhard Klumbies, Ilse Müller (Hg.): Bibel und Kultur: Das Buch der Bücher in Literatur, Musik und Film. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016, 9–34
- »Weh über euch Götzendiener«: Georg Büchner und die prophetische Rhetorik im Vormärz, in: Weimarer Beiträge 61.3 (2015), 325–341
- Die Gewalt der Schrift. Biblische Erzählverfahren in Patrick Roths Sunrise. Das Buch Joseph, in: Michaela Kopp-Marx, Georg Langenhorst (Hg.): Die Wiederentdeckung der Bibel bei Patrick Roth: Von der Christus-Triologie bis Sunrise. Das Buch Joseph, Göttingen: Wallstein 2014, 189–208
- »Nichts der Offenbarung«, »inverse« und »Unanständige Theologie«: Kafkaeske Figuren des Religiösen bei Adorno, Benjamin, Scholem und Agamben«, in: Manfred Engel, Ritchie Robertson (Hg.): Kafka und die Religion der Moderne / Kafka: Religion and Modernity (Oxford Kafka Studies 3). Würzburg: Königshausen & Neumann 2014, 155–176
- »Movement of Language and Transcience: Lament, Mourning, and the Tradition of Elegy in Early Scholem, in: Ilit Ferber, Paula Schwebel (Hg.): Lament in Jewish Thought: Philosophical, Theological, and Literary Perspectives. Berlin: de Gruyter 2014, 237–254
siehe auch die älteren Publikationen:
- Hg.: Das Buch in den Büchern. Zugänge zur Wechselwirkung von Literatur und Bibel. München: Fink 2012 (mit Einleitung, 9–35) (mit Andrea Polaschegg)
- Bibel und Literatur um 1800. München: Fink 2011
- Hg.: Bibel als Literatur. Eine Anthologie. München: Fink 2008 (mit Hans-Peter Schmidt)
Veranstaltungen
»Heilige Texte«. Fortleben und Wiederkehr einer Denkfigur in der Moderne
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et.
Texte über Texte. Säkularisierung des Kommentars in der Moderne
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et.
Resurrections. The Politics of Paul’s Afterlife
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Seminarraum 303
Medienecho
Rezension von Horst Lange, in: Monatshefte 115.4 (2023), 677–679