Aktivismus und Wissenschaft I: Zur Theorie, Geschichte und Aktualität einer Provokation
In und über Universität und Wissenschaften wird wieder gestritten, so öffentlich und erbittert wie lange nicht mehr. Antirassismus, Feminismus, der Kampf gegen den Klimawandel, gegen soziale Ungleichheit und für LGBTIQ-Rechte, die Aufnahme und Rechte Geflüchteter: Fast alle relevanten politischen Debatten der Gegenwart finden auch in den Universitäten, den Wissenschaften und wissenschaftsnahen Bereichen statt. Zugleich firmiert ›die Wissenschaft‹ als Autorität in öffentlichen Debatten. Ihre Erkenntnisse sollen politische Entscheidungen leiten, worauf die jeweilige politische Gegenseite mit Zweifeln an eben diesen Erkenntnissen antwortet. Die neue oder verstärkte Politisierung der Wissenschaft wird gegenwärtig unter dem Schlagwort des Aktivismus gefasst, wobei dieser Begriff zu einer Reiz-Vokabel geworden ist, über die verschiedene Positionen kontrastiert und in erhöhte Spannung zueinander gesetzt werden.
Dabei lässt sich ein Aktivismus, der durch die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf politische Ziele außerhalb von Universität und Wissenschaft abhebt, von Formen des Aktivismus unterscheiden, die auf den Wissenschaftsbetrieb und seine Institutionen selbst zielen. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Wissenschaft aktivistische Provokationen und Interventionen zum besseren Verständnis ihrer zentralen Begriffe und Bezugspunkte nutzen kann: Wie verstehen Wissenschaftler*innen ihr Handeln, im Unterschied und unter Umständen komplementär zu Denken, Reflexion oder auch Kritik? Wie stehen sie zum politischen Herrschaftsanspruch, der mit Wissenschaft immer wieder und immer noch verbunden wird?
Die in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) veranstaltete Konferenz, die als erste in einer Reihe zum Verhältnis von Aktivismus und Wissenschaft geplant ist, beschäftigt sich mit den Auswirkungen verschiedener Formen des Aktivismus auf die Wissenschaft und ihre Institutionen vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei werden sowohl historische Stationen des Aktivismus als auch heutige Debatten zum Verhältnis von Wissenschaft, Aktivismus und Politik in den Blick genommen.
Abb. oben: Modernisierung eines Hörsaals im Ernst-Ruska-Gebäude der TU Berlin, 2017
© TU Berlin/PR/Groh
Programm
Donnerstag, 27.10.2022
14.00
- Eva Geulen/Henning Trüper (ZfL): Einführung
14.30
Panel 1: Aktivismus, Universität und Wissenschaft heute
Moderation: Moritz Neuffer (ZfL)
- David D. Kim (UCLA): The Activist University
- Marian Füssel (Georg-August-Universität Göttingen): Akademische Freiheit und die Verheißung des Intellektuellen: Historische Genealogien des Spannungsverhältnisses von Universität und Aktivismus
19.30
Abendveranstaltung im ICI Berlin
ACHTUNG: Separate Anmeldung über die Website des ICI.
Moderation: Patrick Eiden-Offe (ZfL)
- Armin Nassehi (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Eva von Redecker (freie Philosophin): Aktivismus und Wissenschaft heute. Ein Gespräch
Freitag, 28.10.2022
10.30
Panel 2: Historische Stationen
Moderation: Alexandra Heimes (ZfL)
- Nacim Ghanbari (Universität Siegen): Aktivistisch publizieren (Lenz)
- Angus Nicholls (Queen Mary University of London): Comparative Literature: The History of an Activist Discipline
14.30
Panel 3: Das 20. Jahrhundert: aus Deutschland in die USA und zurück
Moderation: Katrin Trüstedt (ZfL)
- Dieter Thomä (Universität St. Gallen): Aktivismus in und an der Universität ca. 1930 (Bloch, Tillich u.a.)
- Paul Fleming (Cornell University): Theory, Praxis, Regression. On the late Adorno and Marcuse [per Zoom]
17.00
Panel 4: Aus den 80ern in die Gegenwart: Exil, Migration, Feminismus
Moderation: Hanna Hamel (ZfL)
- Dîlan C. Çakir (DLA Marbach/Universität Stuttgart): Aktivismus im Deutschen Literaturarchiv – Engagement für bedrohtes kulturelles Erbe am Beispiel der kurdischen Literatur in der Diaspora
- Heide Volkening (Universität Greifswald): Kritik des Feminismus. Gender in der Universität
Samstag, 29.10.2022
10.00
Panel 5: Aktivismus im Museum?
Moderation: Eva Axer (ZfL)
- Clémentine Deliss (University of Cambridge/KW Institute for Contemporary Art Berlin): Die Praxis des akademischen Ikonoklasmus an der Museums-Universität
- ACHTUNG: Der Vortrag von Elisabeth Heyne muss leider entfallen!
12.00
Abschlussvortrag
- Sandra Richter (DLA Marbach): Schiller als Aktivist