9. Internationale Sommerakademie des ZfL 2019
23.09.2019 – 26.09.2019

Historisierung. Formen, Praktiken, Relevanz

Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Aufgang B, 3. Etage
Kontakt: Birgit Raabe, sekretariat@zfl-berlin.org, +49 30 20192-155

Es gehört zum methodischen Kernbestand der Geistes- und Kulturwissenschaften, ihre Gegenstände zu historisieren, das heißt: sie in ihrem historischen Gewordensein zu betrachten und zu reflektieren. Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist dieser historische Anspruch in mehrfacher Hinsicht methodisch fragwürdig geworden (Historisierung des Holocaust; Ende der ›großen Erzählungen‹ etc.). Gleichzeitig tauchen neue Probleme auf, die die Geistes- und Kulturwissenschaften vor neue Herausforderungen stellen:

Erstens rücken aktuelle Fragen (etwa Klimawandel und Anthropozän) Bereiche ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die lange als die ahistorische Außenseite von Geschichte überhaupt behandelt wurden. Wie historisiert man Leben und Natur, wenn Menschengeschichte jetzt auch Erdgeschichte und Erdgeschichte jetzt auch Menschengeschichte ist? Wie verhalten sich solche Historisierungskonzepte zur ehemals kategorischen Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften, die in der Wissenschaftsforschung der letzten Jahre zunehmend infrage gestellt wurde?

Zweitens steht Historisierung angesichts der fortschreitenden Globalisierung vor neuen Herausforderungen. Welche Form von Historisierung ist beispielsweise zu wählen, wenn im Zeichen postkolonialer Globalität ehedem klar orientierende Konzepte wie ›die Moderne‹ einer Pluralisierung unterzogen werden? Oder das Nationale kein selbstverständlicher Bezugspunkt mehr ist? Globalisierung betrifft auch den Umgang mit Big Data; die Geisteswissenschaften werden zu Digital Humanities, die sich zwischen close reading und distant reading neu verorten müssen.

Drittens befassen sich die ehemals historisch-philologischen Fächer im Zeichen einer ›breiten Gegenwart‹ immer mehr mit ihrer eigenen Gegenwart. In der Literaturwissenschaft boomt die Beschäftigung mit Gegenwartsliteratur, in der Geschichtswissenschaft wird die Zeitgeschichte immer mehr zur politisch-kulturellen Gegenwartsdiagnose mit prognostischem Mehrwert. Wie lässt sich die Gegenwart als Gegenwart historisieren, ohne sie im Vorgriff immer schon als vergangen zu imaginieren? Gibt es möglicherweise Verbindungen zwischen der Historisierung und einer politisch instrumentalisierten Relativierung wissenschaftlicher Fakten?

Die drei Problemfelder sollen mit der praktisch-methodischen Frage verknüpft werden, wie das denn geht: Historisieren. Um die methodische Kompetenz der Teilnehmer*innen zu schulen, sollen in der Sommerakademie verschiedene Modelle von Historisierung vorgestellt und verschiedene historisierende Darstellungsweisen erprobt und reflektiert werden. Dabei ist ein disziplinärer Vergleich und Austausch vorgesehen. Wie sieht die Problemlage in der Literaturwissenschaft, der Kunstgeschichte, der Medienwissenschaft, der Musikwissenschaft, der Philosophie aus? Und liegt in der disziplinären Differenz der Modi von Historisierung vielleicht auch eine Chance der interdisziplinären Arbeit?

Gefördert durch die VolkswagenStiftung

Programm

Öffentliche Abendvorträge:

 

 

 

Abb. oben: D.M. Nagu